Zum Gespräch: Scharia. Eine Gefahr für das deutsche Recht?
Vielehe in Deutschland?
Reinbold
Ein anderes Thema, das immer wieder für Aufregung sorgt, ist das Thema „Vielehe“. Immer wieder gibt es Berichte, dass Muslime auch in Deutschland mehrere Frauen haben. Kürzlich gab es eine Talkshow mit Sandra Maischberger, in der eine Schweizerin, eine Konvertitin eingeladen war, voll verschleiert, nur mit einem kleinen Sehschlitz. Sie sagte, ihr Mann hätte mehrere Frauen, das sei gut so, und man solle das ganz allgemein zulassen. Gibt es da vom deutschen Recht her irgendetwas zu verhandeln, Herr Rohe?
Rohe
Da gibt es nichts zu verhandeln, und zwar in zwei Richtungen nichts. Wer versuchen würde, vor einem deutschen Standesamt eine polygame Ehe einzugehen, würde sich strafbar machen. Es gibt eine Norm im Strafgesetzbuch, die das ausdrücklich verbietet. Sie zeigt sehr deutlich, wie das deutsche Recht zu diesem Phänomen steht. Es stellt es unter Strafe.
Aber das sind nicht die Fälle, die wir typischerweise erleben. Die Fälle, die wir haben, sind Fälle, in denen Menschen im Ausland nach dem dort geltenden Recht wirksam eine solche Ehe eingegangen sind und nun in Deutschland leben. Die Vielehe gibt es ja noch in vielen Ländern der islamischen Welt, auch wenn sie zurückgedrängt wird. Aber es gibt sie noch – übrigens auch in nicht vom Islam geprägten Staaten wie Südafrika oder Thailand. Wenn diese Menschen in Deutschland leben, stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen sollen. Und da sagt das deutsche Recht: Wir unterscheiden zwischen Lebenssituationen. Die Zweitfrau bekommt keine Einreiseerleichterung als „Ehefrau“. Da ignorieren wir die „Ehe“ und sagen: Nur eine Ehe ist wirksam. Aber wenn es um Ansprüche der Zweitfrau gegen ihren Ehemann geht, um Ansprüche auf Unterhalt oder auf Erbberechtigung oder auf Teilhabe an Sozialversicherungsansprüchen, die er selbst erworben hat, da ist die Position deutscher Gerichte, dass sie sagen: Wir missbilligen zwar das Phänomen der Polygamie. Aber auf der anderen Seite hat doch diese Frau darauf vertraut, dass sie gegen ihren Ehemann diese Ansprüche hat. Deswegen kann sie solche Ansprüche auch vor deutschen Gerichten durchsetzen. Das ist das sogenannte Internationale Privatrecht, das hier zur Anwendung kommt.
Ein anderer Fall ist es, wenn Muslime solche Beziehungen informell eingehen, sei es, dass ein Imam das attestiert oder dass man es einfach so macht. Dazu verhält sich das deutsche Recht neutral. Die Ménage à trois ist keine Erfindung des islamischen Rechtes. Wir haben uns mittlerweile an die unterschiedlichsten Formen menschlichen Zusammenlebens gewöhnt oder doch jedenfalls gelernt, sie zu tolerieren. Ich höre von manchen jungen Musliminnen und Muslimen, dass sie solche Beziehungen eingehen, um dann später vielleicht einmal irgendwelche andere gefestigte Beziehungen daraus entwickeln zu können, es ist ein vielgestaltiges Bild. Wichtig ist: Wir müssen auch hier nur auf unseren eigenen Maßstäben beharren. Da wo man versuchen würde, eine solche Beziehung offiziell vor den Standesämtern zu schließen, ist sie verboten und strafbar. Da wo hierzulande jeder und jede tun und lassen kann, was man will, da können es auch Muslime tun. Man muss das nicht gut finden. Aber das sind offene Handlungsräume in der Gesellschaft.
Salama
Ich stimme zu. Es betrifft nur Härtefälle und nur Personen mit Auslandsbezug. Kein deutscher Moslem darf nach deutschem Recht eine solche Ehe schließen. Es betrifft nur Fälle, in denen die Ehe im Ausland geschlossen wurde. Nur in diesen Härtefällen, wenn es um die Rechte der Frau geht, die sie gegenüber ihrem Ehemann geltend machen möchte, greift das deutsche Recht für die Ehefrau ein und anerkennt die im Ausland geschlossene „Ehe“.
Reinbold
Stichwort „Internationales Privatrecht“: Bedeutet das, dass man nach dem Recht des Landes beurteilt wird, aus dem man stammt? Also: Wenn ich Saudi-Araber bin, habe ich das Recht, nach saudi-arabischem Recht behandelt zu werden, auch in Deutschland?