Mitschrift: Scharia. Eine Gefahr für das deutsche Recht? (Teil 3)

Zum Gespräch: Scharia. Eine Gefahr für das deutsche Recht?


Kopftuch in der Schule

Reinbold 
Nicht umhin kommen wir, über das Kopftuch in der Schule zu sprechen. Herr Salama, Sie haben in Ihrer Doktorarbeit ein langes Kapitel dazu geschrieben. In den meisten deutschen Bundesländern ist die Rechtslage so, dass es Lehrerinnen verboten ist, mit dem Kopftuch in die Schule zu gehen. Sie haben in Ihrer Arbeit dazu kurz und trocken geschrieben, ein solches generelles Verbot von Kopftüchern, wie es etwa hier in Niedersachsen gilt, sei „unzulässig“. Warum ist das Ihres Erachtens so?

Salama 
Wenn man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch liest, wird man meine These verstehen. Das Verfassungsgericht hat die Sache damals an das Land Baden-Württemberg zurückgegeben, mit dem Auftrag, das Land solle den Ausgleich zwischen den Grundrechten schonend herstellen. Es muss abgewogen werden zwischen dem Grundrecht auf Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 Grundgesetz und anderen Rechten wie dem Bildungsauftrag des Staates, den Elternrechten, der negativen Religionsfreiheit der Kinder, und so weiter. Baden-Württemberg hat das nicht gemacht, sondern hat einfach ein generelles Verbot erlassen. Meines Erachtens wäre eine Einzelfallentscheidung zur Persönlichkeit der Lehrerinnen angemessener gewesen. Die Frauen unterrichten ja nicht mit ihrem Kopftuch, sondern mit ihrer gesamten Persönlichkeit, und sie gehen nicht in den Unterricht, um zu missionieren.

Wir haben mittlerweile Zentren für Islamische Theologie überall in Deutschland, Nordrhein-Westfalen hat den Islamunterricht nach Maßgabe des Grundgesetzes eingeführt. In diesem Islamunterricht darf eine Lehrerin nach deutschem Recht Kopftuch tragen, trotz des Kopftuchverbotes in einigen Bundesländern. Das hat zur Folge, dass die Lehrerin das Tuch während des Religionsunterrichts in der Klasse trägt, es dann, wenn sie die Klasse verlässt, ausziehen muss, um es dann außerhalb der Schule wieder tragen zu dürfen. Das ist für mich wirklich absurd. Das Kopftuchverbot versucht, die Kinder vor Missionierung zu schützen, weil es meint, die Kinder könnten damit nicht umgehen. Sie müssen damit aber umgehen können. Es ist der Auftrag des Staates, dafür zu sorgen, dass das Kind mit verschiedenen Kulturen umgehen kann, und es ist die Aufgabe der muslimischen Lehrerin, zu erklären, warum sie sich so kleidet. Wenn wir dann feststellen, dass sie irgendein unangemessenes Motiv hat, dann bitteschön, dann muss sie gehen.

Reinbold 
Herr Salama plädiert für Einzelfallentscheidungen und sagt, die Rechtslage sei widersinnig. Sehen Sie das ähnlich?

Rohe 
Teilweise haben wir Recht, das ich für verfassungswidrig halte, und teilweise haben wir Recht, das jedenfalls nicht befriedigend ist. In acht Bundesländern gibt es keine „Kopftuchgesetze“, und wir hören von keinerlei Problemen. Bayern zählt zu den Ländern, die ein solches Gesetz haben. Meine Universität Erlangen-Nürnberg bildet seit neun Jahren islamische Religionslehrerinnen und -lehrer aus, wir waren die ersten in Deutschland, die damit begonnen haben. Wir machen die Erfahrung, dass gute junge Frauen, die wir ausgebildet haben, zum Beispiel nach Österreich gehen, weil sie sich einer solchen Absurdität nicht unterwerfen wollen, wie sie Herr Salama gerade beschrieben hat. Das ist mein erster Punkt: Wir verlieren gute Leute, wenn wir das Kopftuch für Lehrerinnen generell verbieten.

Mein zweiter Punkt. Wir haben Gesetze, in denen die aus meiner Sicht wichtigste Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten wurde: Wenn man sich entscheidet, mehr oder weniger religiöse Pluralität in der Schule zuzulassen, dann muss man eine einheitliche Linie haben. Wenn es Gründe gibt zu sagen, dass sichtbare Religion das Potential zum Konflikt hat, dann muss man allen ein hohes Maß an Zurückhaltung auferlegen. Oder man sagt umgekehrt, dass sichtbare Religion eine Bereicherung ist. Aber Gesetze, die unterscheiden zwischen unerwünschten und erwünschten Symbolen, zwischen kulturell akzeptierten und etablierten religiösen Symbolen und solchen, die nicht akzeptiert und nicht etabliert sind? Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Gesetze, wie etwa das Baden-Württembergische, tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werden. Das Gericht wird vermutlich im kommenden Jahr die Sache wiederum zu entscheiden haben. Dann wird man weitersehen.

Ich habe an der Stelle echte rechtliche Bauchschmerzen. Wir können nicht so tun, als seien bestimmte Symboliken einer alt etablierten Religion per se unproblematisch, und als sei das, was neu hinzugekommen ist, problematisch. Mir wäre es lieber, wenn man sich einmal intensiver mit der Bedeutung und Nichtbedeutung dieses Kopftuchs auseinandersetzen würde und wenn man nicht zuletzt auf die Frauen schauen würde. Denn das ist ja bemerkenswert: Es werden nicht die Bärte diskutiert. Es trifft mal wieder die Frauen – bis hin zu Unsinn wie dem, dass ein deutsches Gericht hat entscheiden müssen, dass eine Baseballkappe ein „Kopftuch im Sinne des Gesetzes“ ist, wenn sie von einer Muslimin getragen wird. Absurd.

Reinbold 
Nun gibt es aber Leute, die sagen: Moment! Das Kopftuch ist doch ein politisches Symbol. Das ist doch eine Kampfansage an den Westen. 

Salama 
Wenn ich als Frau das Kopftuch für ein religiöses Gebot halte, das ich einhalten muss, dann ist es mir egal, was die anderen denken. Für den Staat gilt das Neutralitätsgebot, er darf sich nicht einmischen, die Auslegung liegt bei den muslimischen Frauen. Es gibt Frauen, die unterdrückt werden, aber das wird der Staat nicht erkennen, die Frauen selbst müssen es sagen. Wenn die Frau sagt: Mein Ehemann oder mein Vater hat mich dazu gezwungen, Kopftuch zu tragen, dann ist es etwas anderes. 

Reinbold 
Herr Rohe, genügt es also, wenn eine Frau sagt: „Ich empfinde das Kopftuch als religiöse Pflicht“?

Rohe 
Nein, das genügt nicht, man muss mögliche widerstreitende Interessen abwägen. Es gibt ja auch ein Recht auf negative Religionsfreiheit, und es gibt Erwägungen, dass man den staatlichen Raum, also auch die Schule, mit einem höheren Maß an Neutralität versieht als den öffentlichen Raum. Wir wissen wenig darüber, wie das Kopftuch einer Lehrerin auf Schüler und Schülerinnen wirkt. Das kann positiv verstärkend für die muslimischen Mädchen wirken, nach dem Motto: Eine von uns, die hat es geschafft. Es kann aber auch sein, dass ein Mädchen sich unter Druck gesetzt fühlt, etwa wenn die Familie sagt, sie soll das Kopftuch tragen, und dann hat die Lehrerin auch noch eins. Wir wissen einfach fast nichts darüber. Deswegen bin ich auch in meiner Eigenschaft als früherer Richter unglücklich darüber, dass man in dieser Sache massive Entscheidungen gefällt hat, ohne eine tragfähige Tatsachengrundlage zu haben.

So lange das so ist, bin ich ein Freund flexibler Lösungen im Sinne von Herrn Salama. Wir sollten den Einzelfall anschauen und fragen: Wie sieht es aus mit dem Schulfrieden? Das ist unbequem, und ich verstehe auch Verwaltungen, die sagen: „Wir haben schon alle Arten von Problemen. Bitte nicht auch das noch!“, sei es das Gebet in der Schule oder das Kopftuch oder was auch immer. Aber ich meine, da müssen wir durch. Der deutsche Rechtsstaat ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Aber nur dann, wenn er in der Alltagspraxis erlebbar wird, gerade auch für diejenigen, die besonderen Schutz brauchen, und das sind die Minderheiten. Die Mehrheit schützt sich meist selbst ganz gut. Wir müssen wirklich ernst machen mit dem Rechtsstaat. Wenn er weiterhin funktionieren soll, muss der gesamten Gesellschaft deutlich werden, dass wir es mit ihm ernst meinen. Das eine oder andere Befremden müssen wir durchstehen. Das ist normal in der Zivilgesellschaft, dass nicht alle alles gut finden.
 

Gebet in der Schule?

Reinbold 
Sie haben den Berliner Fall begutachtet, wo ein Schüler in der Schule beten wollte. Das Diesterweg-Gymnasium hatte es ihm verboten. Jetzt hat das Bundesverwaltungsgericht die Klage des Schülers gegen das Gebetsverbot zurückgewiesen. Er darf nicht in der Schule beten. Ist das ein Fehlurteil? 

Rohe 
Ich halte es für ein ausgezeichnetes Urteil, denn es hat sehr deutlich gemacht, dass man im Prinzip sehr wohl auch in der Schule beten darf. Nur eben dann nicht, wenn der Schulfriede gefährdet wird, konkret, also mit belastbaren Fakten versehen. Ich habe diesen Fall ja von Anfang an mitbekommen und dazu ein islamwissenschaftliches Gutachten erstattet, übrigens nur zu der Frage, ob der Schüler in Pausenstunden oder in Hohlstunden in der Schule sein Gebet verrichten darf, wenn das Ritualgebet in die Schulzeit fällt – der Schüler hat keinen eigenen Raum verlangt, wie manchmal geschrieben wurde.

Es hat in dieser Schule Verhärtungen unterschiedlichster Art gegeben. Die Frage war schließlich nur: Ist der Standpunkt des Schülers ein plausibler religiöser Standpunkt? Es war nicht die Frage zu beantworten, ob der Islam das verlangt oder nicht, da gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen, die meisten Schülerinnen und Schüler beten nicht in der Schule und haben ihre Gründe dafür. Anhand der verfügbaren islamischen Quellen aber wird man sagen müssen – und da geht es nicht darum, ob das gute Quellen sind, von höchster Autorität. Das können irgendwelche Quellen aus irgendeiner religiösen Richtung sein, die dieser Schüler aus seiner subjektiven Sicht als seiner Religion entsprechend ansieht. Wir dürfen uns da nicht einmischen in die Frage, was richtig und was falsch ist bei der Religion. Das deutsche Gericht geht es nichts an, wie wir unser Abendmahlverständnis entfalten. Genauso wenig geht es ein deutsches Gericht etwas an, wie jemand seine religiösen Gebote verstehen möchte.

Anhand der verfügbaren islamischen Quellen also wird man sagen müssen, dass die Position des Schülers plausibel ist. Seine Sicht der Dinge hat eine Resonanz im Islam. Und nun war zu entscheiden, wo die Grenzen der Religionsfreiheit dieses Schülers liegen und ob der Schulfriede gefährdet wird. Das Verwaltungsgericht Berlin hat damals festgestellt, der Schulfriede sei nicht gefährdet. Ich habe die Verhandlung seinerzeit miterlebt, und ich muss gestehen, dass die Vertreterin des Senats von Berlin aus meiner Sicht eine ziemlich schwache Figur gemacht hat, denn sie hatte nichts Belastbares vorzuweisen. Möglicherweise war es so, dass in der nächsten Instanz, bei der ich nicht dabei war, mehr Fakten geliefert wurden, so dass die Abwägung dann anders ausgegangen ist. Aber noch einmal: Im Grunde hat der Schüler vor dem Bundesverwaltungsgericht gewonnen, auch wenn er seinen eigenen Fall verloren hat. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat sehr deutlich gemacht, das ein religiöses Bedürfnis auch in der Schule im angemessenen Rahmen seinen Platz hat.
 

Ist das deutsche Religionsrecht eine gute Grundlage für die Zukunft?

Reinbold 
Ich möchte mit einer grundlegenden Frage enden. Herr Salama, Sie haben in ihrer Doktorarbeit das Religionsverfassungsrecht, also das, was man früher in Deutschland das „Kirchenrecht“ nannte, kritisiert und gesagt, es sei an vielen Punkten unzeitgemäß. Christian Waldhoff, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin, hat in einem großen Gutachten vor zwei Jahren die Meinung vertreten, das Grundsystem des Staats-, Kirchen- und Religionsrechts in Deutschland habe sich bewährt und sei zukunftsfähig.

Salama 
Vor kurzem hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, dass die Religionsgemeinschaft der Baha’i in Hessen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wird. Auch die Zeugen Jehovas sind eine Körperschaft – auch wenn sie für mich eine Sekte sind –, sie sind in zwölf oder dreizehn Bundesländern anerkannt. Da ist etwas faul an der Sache. Wir können nicht die ganze Zeit sagen: „Die Muslime können sich nicht organisieren.“ Es gibt doch Dachverbände. Es gibt den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland, den Islamrat, den Zentralrat der Muslime. Die Muslime haben sich in gewissem Maße organisiert, um den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen. Wenn ein oder zwei Dachverbände diesen Status erlangen würden, wäre das eine Entlastung für unser Land. Jetzt aber laufen wir in eine Falle. Wir haben Zentren für Islamische Theologie. Ich frage mich: Wer stellt die Studenten ein, wenn sie fertig sind? Der Staat? Soll der Staat Menschen in die Moschee einstellen?

Rohe 
Ich teile Herrn Salamas Einschätzung insoweit, als auch ich sagen würde, dass es wichtig ist, dass muslimische Organisationen als Religionsgemeinschaften anerkannt werden in diesen wichtigen Kontexten, wo der Staat und die Religionen kooperieren müssen, beispielsweise beim Islamischen Religionsunterricht. Das hat aber nichts mit Körperschaftsrechten zu tun. Diese Körperschaftsrechte sind gar nicht so leicht zu tragen. Sie bringen eine hohe Machtfülle mit sich.

Nun gibt es eine Rechtslage – wenn auch nur als eine Art interner Abmachung unter den Ministerien –, die sagt: Anerkennungsfähig ist nur, wer mindestens dreißig Jahre lang fest gestanden hat. Das erfüllen die Zeugen Jehovas und die Baha’i. Muslimische Vereinigungen aber erfüllen es bislang noch nicht. Ich weiß von keinem Bundesland, in dem im Moment ein aktueller Antrag gestellt worden wäre. Es gibt Anträge, die ruhen, ja, aber mit dem Einverständnis der Antragsteller. Ich halte das für klug, weil man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten gehen sollte. Was wollen Muslime mit Körperschaftsrechten, bevor sie nicht die anderen Strukturen geschaffen haben?

Meine Gespräche mit vielen Musliminnen und Muslimen zeigen mir, dass vor allem die Unterrichtung der jüngeren Generation ein primäres Anliegen ist, das Vertrautmachen mit der Glaubenstradition in einer authentischen Art und Weise, aber auch im Rahmen des deutschen Rechtsstaates. Dazu braucht man den Körperschaftsstatus nicht. Dazu braucht man Übergangslösungen und den festen Willen, aus diesen Übergangslösungen Dauerlösungen zu entwickeln. Aber dazu müssen alle noch ihre Hausaufgaben machen.

Ich weiß, dass in manchen Bundesländern eine zögerliche Politik betrieben wird. Auf der anderen Seite ist es schwierig, mit einer Organisation zu kooperieren, die ihnen nicht sagen kann, wer ihre Mitglieder sind. Wenn sie Unterricht einrichten wollen, der verpflichtend ist, müssen sie in Deutschland wissen, wer in den Unterricht gehen muss und wer nicht. Es gibt eine Menge an Detailfragen, die zu klären sind. Und ich denke, es gibt genügend Beteiligte auf allen Seiten, die guten Willens sind. Die Politik hat das Thema – und das ist anerkennenswert – oben auf der Tagesordnung gehalten, trotz Finanzkrise. Das ist nicht ganz selbstverständlich. Deswegen, trotz aller Rückschläge und trotz mancherlei Enttäuschungen, würde ich ermutigen zu sagen: Kooperieren Sie vor allem mit den vielen, die etwas zu sagen und den guten Willen haben – und in fünfzehn, zwanzig Jahren wird die Lage sehr viel stabiler aussehen als heute. Wir sind mitten in der Pubertät in diesen Entwicklungen, aber die reife Phase ist in Sicht.  

Reinbold 
Sie sagen also, dass das deutsche Recht eine tragfähige Grundlage ist, und ermutigen dazu, geduldig weiterzumachen. 

Rohe 
Ja, aber ich denke, es bedarf ernsthaften Willens.

Salama 
Wenn die Politik mitmacht, dann geht alles.

Reinbold 
Das ist ein schönes Schlusswort. Herr Rohe, Herr Salama, haben Sie vielen Dank.

(Redaktion: Wolfgang Reinbold).

Rohe
Das ist ein sehr seriöser Dienst, was er sagt, stimmt. Die religiösen Vorschriften der Scharia genießen in den Grenzen, die die deutsche Verfassung zieht, den Schutz der Religionsfreiheit. Das ist eine wichtige Aussage. Nach meinem Eindruck ist diese Botschaft in vielen Teilen der Bevölkerung noch nicht so recht angekommen. Religionsfreiheit gilt für alle gleichermaßen, für die Mehrheit ebenso wie für größere oder kleinere Minderheiten. In einer repräsentativen Aussage noch vor Sarrazins Zeiten haben fast 58 % der Deutschen gesagt, sie hielten es für richtig, die religiösen Rechte von Muslimen hierzulande spürbar einzuschränken. Das ist eine Haltung, die man mit dieser Angst erklären kann, mit dieser abstrakten Angst vor dem Islam. Sie ist aber nicht vereinbar mit unseren Verfassungsgrundlagen.

Die deutsche Verfassung kennt keine fremde oder einheimische Religion. Das ist ja gerade der Charme des säkularen Staates, dass er keinen bevorzugt oder benachteiligt. Das ist der Grundsatz unseres Rechtes. Wenn Muslime versuchen, ihre Rechte vor unseren Gerichten durchzusetzen, dann haben sie da übrigens insgesamt sehr verlässliche Verbündete. Ich weiß von verschiedenen Gerichtspräsidenten, dass sie gelegentlich hässliche Post bekommen, wenn Entscheidungen unter normaler Anwendung des Rechts zugunsten muslimischer Parteien gefällt werden. Viele scheinen damit nicht so recht einverstanden zu sein. Neu ist, dass diese hässliche Post auch unterschrieben wird mit Namen, gelegentlich sogar mit akademischen Titeln, und oft in einem Duktus, der mitteleuropäischen Kommunikationsformen nicht entspricht. Man sieht daran, dass es eine gewisse Diskrepanz gibt zwischen der bestehenden Rechtsordnung und der Wahrnehmung der Sachlage in der Bevölkerung, die zu erheblichen Teilen von Ängsten geplagt ist.

Reinbold 
Lassen Sie uns auf die praktischen Beispiele zu sprechen kommen. Wenn eine Moschee gebaut werden soll, gibt es fast regelmäßig Ärger und Demonstrationen, wir haben es in Köln und andernorts gesehen. Dann kommen Fragen auf wie: Darf die Moschee ein Minarett haben? Darf man von dort zum Gebet rufen? Wenn ja: Wie laut darf man dort rufen? Herr Salama, sind das Fragen, wo man nach dem, was Herr Rohe gesagt hat, im Grunde gar nicht diskutieren müsste, weil all das in Deutschland erlaubt sein muss? 

Salama 
Nein, es ist nicht völlig klar, dass es erlaubt sein muss. Der Bau einer Moschee ist genau wie der Bau einer Kirche zu behandeln. Er unterliegt unserem Baurichtliniengesetz. Das heißt, die Moschee muss sich in den Ort einfügen, sie muss in das Bild der Umgebung passen. Ein Minarett ist seitens des Islam nicht zwingend vorgeschrieben. Wenn eine muslimische Gemeinde darauf besteht, ein Minarett haben zu wollen, dann muss sie sich an die Vorgaben des Baurechts halten, etwa, was die Höhe des Minaretts anbetrifft. In der Frühzeit des Islam war ein Minarett notwendig, damit die Stimme des Muezzins, des Gebetsrufers, alle Menschen erreicht. Heute ist das nicht mehr notwendig. Heute hat jeder ein Handy oder einen Wecker oder Ähnliches zu Hause und weiß genau, wann zum Gebet gerufen wird. Außerdem hat der Gebetsruf keine missionarische Funktion im Islam. Muslime müssen die Leute nicht belästigen, nicht missionieren. Die Debatte um Minarette ist eigentlich eine oberflächliche Debatte. Im Blick auf die islamischen Grundlagen ist sie nicht notwendig. 

Reinbold 
Ich konstruiere einmal: Eine Gemeinde kommt und sagt: Wir hätten gern ein Minarett. Das soll so hoch sein wie der Kirchturm nebenan. Und vom Minarett soll so laut gerufen werden wie von den Glocken nebenan – und die sind ja nach Meinung vieler Leute schrecklich laut. Herr Rohe, ist das etwas, das nach deutschem Recht möglich sein müsste?

Rohe 
Da kommt es sehr auf die Umstände des Einzelfalls an: Wo ist diese Moschee genau angesiedelt? – Wir haben ja immer noch das Phänomen, dass viele Moscheen in Industriegebieten oder Mischgebieten untergebracht sind. Das ist eigentlich nicht der vom Baurecht vorgesehene Ort. Diese Standorte haben zu tun mit der Entwicklung des Islam als einer Gastarbeiterreligion. Man hat zunächst versucht, an den billigsten Orten unterzukommen.

Also: Wo ist diese Moschee genau angesiedelt? Gibt es dort im Umfeld eine Wohnbevölkerung? Und ähnliche Dinge mehr. Ich finde es gut und wichtig, was Herr Salama gesagt hat, nämlich, dass Muslime in der Regel einen Gebetsruf gar nicht brauchen und wollen. In einem Land, in dem auch das Kirchengeläut morgens um 6 Uhr schon Anstände macht, ist es wahrscheinlich auch nicht klug, so etwas zu forcieren. In manchen Städten wird gelegentlich zum Freitagsgebet gerufen, das um die Mittagszeit stattfindet. Das hat einen gewissen Symbolcharakter und wird in der Regel die Umgebung nicht stören.

Was das Minarett angeht, hat Herr Salama das richtige Stichwort genannt. Es muss sich einfügen in die Umgebung, in Höhe und Breite und so weiter. Wichtig dabei ist: Es gibt keinen rechtskulturellen Bestandsschutz in Deutschland, in dem Sinne, dass man sagen könnte: Kirchen gab es schon immer, und also darf man auch weiterhin Kirchtürme bauen. Moscheen hingegen sind etwas Neues, sie fügen sich nicht ein. So geht es nicht, das hat eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz sehr deutlich gemacht im Zusammenhang mit einem Urteil zu einem Minarett in einem kleineren Ort in der Eifel. Wir müssen das Recht auch hier dynamisch lesen. Wir haben mittlerweile eine Bevölkerungsgruppe von schätzungsweise 4 Millionen Muslimen, die zum größten Teil auf Dauer in Deutschland leben werden, und es ist das natürlichste von der Welt, dass sie sich eine religiöse Infrastruktur geben.

Wichtig ist mir zu betonen, dass wir allerdings die Ebene des Rechts nicht überschätzen sollten. Gott sei Dank sind die meisten Moscheebauten nicht vor Gericht gelandet. Wir müssen vor allem die soziale Ebene in den Blick nehmen. Es gibt eine ganze Anzahl erfolgreicher Moscheebauprojekte, wo muslimische Vereine frühzeitig auf Verwaltungen und Stadtgesellschaften zugegangen sind, wo sie offen gelegt haben, wer sie sind und was sie möchten, wo sie versucht haben, Verbündete zu finden – die Kirchen sind da oft sehr verlässliche Partner. Das ist der richtige Weg. Wer erst einmal gar nichts sagt, der löst möglicherweise Ängste aus. Die Leute fragen sich: Wer ist denn das? Ist es ein Gebetshaus, oder ist es ein Terroristennest? Und dann geht es plötzlich um Fragen wie die der Autostellplätze.

Besser ist es, von vornherein aufeinander zuzugehen und zu klären, was geht und was nicht geht. Es gibt ja Städte, die den Leuten helfen, ein Grundstück zu finden – und oft genug ist das Grundstücksproblem das entscheidende. Das Recht hat seine Grenzen. Wer in einer Stadtgesellschaft abgelehnt wird, der wird nicht viel davon haben, wenn er versucht, irgendetwas vor Gericht durchzusetzen. Mein dringender Rat an dieser Stelle ist, ein offenes Gespräch mit allen Beteiligten zu führen. Man muss schauen, wo was am besten passt. Mittlerweile haben wir ja Städte, die auf ihre Moscheebauten stolz sind. Denken Sie an die Moschee in Penzberg, wo sogar Architekturstudenten hinpilgern und sich die Sache anschauen. Islam auf postmodern, das scheint irgendwie reinzupassen. 

Salama
Ich stimme völlig zu. Es gibt eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1990, das die Weichen zum Moscheebau gestellt hat und die Frage der Gleichbehandlung von Moscheebauten und Kirchbauten geklärt hat. Das Gericht hat angeordnet, dass die Moscheegemeinden so behandelt werden müssen, als ob sie eine Kirche sind – auch wenn die muslimischen Gemeinden nicht denselben Status haben wie die Kirchen. Wenn eine Moschee ein Grundstück sucht, dann muss die Kommune den Muslimen dabei helfen, eins zu finden.