Zum Gespräch: Salafisten. Wie gefährlich sind sie?
Der innersalafistische Streit um die Gewalt
Reinbold
Das mutet natürlich der Mehrheitsgesellschaft einiges zu. Das Wort „Salafisten“ ist ja doch zu so etwas wie einem Kampfbegriff geworden für all das, was viele am Islam furchtbar finden. Ich habe einmal ein Zitat herausgesucht, das die Schwierigkeit auf den Punkt bringt. Da schreibt jemand, der sich über die Debatte ärgert, auch und gerade mit Bezug auf die Mainzer Situation, auf facebook: „Finde ich Salafisten toll? Nein! Aber diese ewige Gleichsetzung: Da, wo Salafisten sind, ist die nächste Brutstätte des Terrorismus, nervt ohne Ende. Der Islam gehört zu Deutschland und damit auch unterschiedlichste Strömungen, die man nicht toll finden muss.“ Das ist das Plädoyer eines Muslims, der sagt: „Erst mal den Ball flach halten. Es gibt Formen des Salafismus, die muss man ertragen.“
Dantschke
Dschihadismus, Gewalt, Terror, all das muss man nicht ertragen, im Gegenteil! Ich denke, es ist klar, dass das nicht nur eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden ist. Da ist die Gesellschaft als ganze gefordert.
Wichtig ist nun: Wenn man den Salafismus homogenisiert, dann vergibt man die Chance auf Unterstützung derjenigen Teile der Salafiyya, die unheimlich engagiert gegen den Dschihadismus kämpfen. Das wird oft nicht wahrgenommen. Das Engagierteste gegen die dschihadistische Interpretation kommt im Moment aus der puristischen Salafiyya. An die Jugendlichen kommen Sie mit den traditionellen Moscheegemeinden ja gar nicht mehr heran. Die sind längst als Feindbild markiert und abgewertet. Sie haben keinen Zugang zu diesen Jugendlichen.
Reinbold
Der normale Moscheeimam macht keinen Stich im Gespräch mit einem Salafisten?
Dantschke
Ja. Wenn ein Jugendlicher eine salafistische Strömung für sich entdeckt hat als Lebensweg und sich immer mehr politisiert und radikalisiert, in eine gewalttätige, dschihadistische Richtung, dann hat er vorher einen Prozess durchgemacht. In diesem Prozess ist er Teil der auserwählten, besten, perfekten Gruppe, und die anderen Muslime, die traditionellen Moscheen, das sind die Kuffar-Muslime [= die ungläubigen, lediglich so genannten „Muslime“], das sind die Atatürk-Muslime, das sind die Muslime, die den Nichtmuslimen in den Hintern kriechen, die den Islam verraten, und so weiter. Da gibt es so viele Feindbilder, dass Vertreter dieser Moscheen gar keinen Zugang mehr zu diesen Jugendlichen haben.
Reinbold
Also auch hier: Der interne Streit ist größer. Die anderen Muslime sind die Verräter, nur wir sind die Wahren, mit den Anderen reden wir gar nicht …
Dantschke
Ja. Der Punkt ist: Wenn ich in der eigenen community jemanden habe, der mir widerspricht, dann ist das der nahe Feind, der ist viel gefährlicher. Dass der Kuffar, der Nicht-Muslim mich nicht versteht, ist ja klar, der ist ja noch kein Muslim. Vielleicht kann ich den noch erreichen, wenn ich ihn missioniere. Aber der andere Muslim, der sich weigert, den Islam richtig zu leben und der behauptet, seine Form des Islam sei die perfekte, das ist der nahe Feind, das ist der innere Feind, das ist die größere Gefahr. Daher richtet sich diese radikale Propaganda viel, viel aggressiver an andere Muslime, die darauf bestehen, dass ihre islamische Richtung die richtigere ist. Da werden ganz starke Feindbilder aufgebaut, es gibt massenhaft Videos zum Beispiel gegen DITIB und andere traditionelle Moscheen.
Diaw
Wenn man sich zum Beispiel in Ägypten das Spektrum der Takfiris anschaut – das sind die, die den anderen Muslimen den Islam absprechen –, oder das militante dschihadistische Spektrum, etwa Al-Dschihad oder die Dschamaʿa al-islamiyya: Sie alle haben nicht gegen den fernen Feind, sondern gegen den inneren Feind gekämpft. Sie wollten die ägyptische Regierung stürzen und die ägyptische Gesellschaft verändern. Was in Deutschland die RAF war, waren in Ägypten diese Gruppen. Sie haben innerhalb des eigenen Landes operiert.
Oder schauen Sie nach Saudi-Arabien. Viele glauben, der Staat würde dschihadistische Gruppen stützen. Das Gegenteil ist der Fall, man betrachtet sie als Problem. Diese Gruppen führen ja Anschläge in Saudi-Arabien durch. Sie wollen das Königshaus stürzen. So hat man zum Beispiel den Kämpfern, die von der Ideologie von Abu Muhammad al-Maqdisi beeinflusst waren, Religionsunterricht gegeben, als sie aus dem Irak nach Saudi-Arabien zurückkamen. Wenn sie saudische Staatsbürger waren, wurden sie in einem Camp unterrichtet, um zu erkennen, dass das Verständnis von Religion, das sie im Irak aufgesogen hatten, ein falsches Verständnis war. Die antipolitische, puritanistische Salafiyya versucht, die politisch-dschihadistischen Salafisten mit Religionsunterricht von der Gewalt wegzubringen. So absurd das für viele klingen mag, aber das ist die Realität.
Dantschke
Das passiert auch hier in Deutschland innerhalb der salafistischen Szene, es wird nur meist nicht wahrgenommen. Es gibt mehrere kleine Vereine von Puristen, in denen vor allem jüngere, sehr intelligente Leute versuchen, die salafistischen Großgelehrten so zu interpretieren, dass sie die politisch-dschihadistische Richtung ablehnen. Sie beziehen sich also auf die gleichen Quellen wie die Dschihadisten, aber sie lesen sie anders, interpretieren sie, aus ihrer Sicht, „richtig“. Für Jugendliche, die noch nicht zum Dschihad entschieden sind, die noch erreichbar sind, ist das attraktiv. Natürlich steht am Ende dieses Prozesses keine demokratische Lebensform nach allen Regeln der Kunst. Das Resultat ist bestenfalls eine sehr religiös-fundamentalistische Lebensform, allerdings eben ohne Gewalt, als Teil der demokratischen Gesellschaft.