Mitschrift: Salafisten (Teil 2)

Zum Gespräch: Salafisten. Wie gefährlich sind sie?


Ein Kindergarten in Mainz und der Prediger Al-Arifi

Reinbold 
Frau Dantschke, ich will, um es konkret zu machen, einmal ein Beispiel nennen, das zurzeit durch die Zeitungen geht. In Mainz gibt es einen muslimischen privaten Kindergarten. Er wird von der öffentlichen Hand mit 15.000 Euro im Jahr gefördert. Nun hat das Deutschlandradio aufgedeckt, dass der Trägerverein des Kindergartens vor kurzem einen bekannten salafistischen saudi-arabischen Prediger eingeladen hat. Al-Arifi heißt der Mann, er hat beste Kontakte in die deutsche Salafistenszene und ist nach seinem Vortrag gleich weitergereist zu seinen Freunden und hat radikale Vorträge gehalten.

Der Trägerverein hat daraufhin zunächst gesagt: „Der Mann ist eigentlich gemäßigt, wir finden den nicht radikal“. Als man merkte, dass das offenbar nicht der Fall ist, hat man gesagt: „Ja, wir wussten nicht so genau, was das für einer ist.“ Erst als der öffentliche Druck zunahm, hat man gesagt: „Gut, wir entschuldigen uns, das hätte uns nicht passieren dürfen.“ Seither geht es hoch her in der Stadt Mainz. Die Fraktionen im Rat der Stadt streiten, wie man mit der Sache umgehen soll. Es gibt Politiker, die sagen: „Sofort zumachen!, diesen Kindergarten. Es geht doch nicht an, dass eine deutsche Kommune einen offenbar salafistisch unterwanderten oder geprägten Kindergarten mit öffentlichem Geld fördert!“ Wie sehen Sie das? Ist das die rechte Haltung, oder gibt es eine Form des Salafismus, die die Gesellschaft, so schwer es fällt, ertragen muss? 

Dantschke 
Zu der Geschichte in Mainz gehört noch ein Vorfall, den man nicht unterschlagen darf. Nach dem Artikel vom Deutschlandradio und anderen Berichten haben zwei junge Leute, die zu einem rechtsextremen Muslimhass-Spektrum gehören, die Gemeinde und diesen Kindergarten angegriffen und mit Schweineblut beschmiert. Sie haben das damit begründet, dass in der Presse stand, dass diese Gemeinde salafistisch sei und dass der Kindergarten diesen Prediger eingeladen hat. Das hat natürlich die Debatte enorm erschwert, denn ich kann diese Islamhasserseite nicht ignorieren, die natürlich versucht, aus jeder kritischen Debatte, die wir führen, ihren Vorteil zu ziehen gegen Muslime insgesamt.

Wichtig ist: Der Prediger, der eingeladen worden ist, ist kein Unbekannter. Es ist Mohammed Al-Arifi. Mohammed Al-Arifi ist regelmäßig in Deutschland. Er war mehrfach in Berlin, er ist ein Star der saudi-arabischen salafistischen Szene. In Saudi-Arabien ist er Dozent an einem Lehrinstitut. Auf Twitter hat er einen Account, dem 5 Millionen Leute folgen, 5 Millionen! Er hat auch eine Fernsehsendung und anderes mehr. Also, das ist keine kleine Größe.

Al-Arifi ist etwas jünger als die typischen Großgelehrten des Salafismus, die zum Teil tot sind oder sehr alt. Er spricht eine jüngere Generation an, das ist sehr attraktiv, weltweit. Als er in Berlin war, vor mehreren Jahren – ich habe ihn öfters erlebt in Berlin –, ist er in nicht weniger als sechs verschiedenen Moscheen herzlichst willkommen geheißen worden. Das waren Moscheen, die ganz klar nicht zur Salafiyya gehören, sondern zur Muslimbruderschaft. Sein Beliebtheits- und Bekanntheitsgrad geht also weit über die Salafistenszene hinaus und reicht bis hinein in die Muslimbruderschaft. Al-Arifi gehört nicht zum dschihadistischen Spektrum, ganz im Gegenteil. Er gehört zum politisch-missionarischen Spektrum des Salafismus.

Der Punkt in Mainz war nun, dass der Trägerverein des Kindergartens immer schon umstritten war. Es gab schon vor der Eröffnung des Kindergartens eine lange Debatte, eine sehr heftige Debatte, denn der Verein stand immer schon in dem Ruf, zumindest zur Muslimbruderschaft zu gehören. Insofern war der Auftritt Mohammed Al-Arifis Ende Dezember, Anfang Januar für die, die den Verein schon immer kritisiert haben, Wasser auf ihre Mühlen.

Wichtig ist, dass die Verantwortlichen im Verein natürlich wissen, wen sie einladen. Die Behauptung, man habe nicht gewusst, was Al-Arifi sagt, ist nicht glaubwürdig. Damit verspielt der Verein seine Glaubwürdigkeit.

Andererseits ist es aber so, dass ich den Verantwortlichen zugute halte, dass sie wirklich kein Unrechtsbewusstsein haben. Sie verstehen die Kritik überhaupt nicht. Wenn wir ihnen sagen: „Wie könnt ihr jemanden wie Mohammed Al-Arifi einladen?“, dann verstehen sie das nicht. Für sie ist das eine kompetente, international bekannte Größe. Deswegen ist es ganz, ganz wichtig, dass man sich jetzt zusammensetzt und die Kritik artikuliert und sie begründet. Dass man deutlich macht, warum die Kommune jemanden wie Al-Arifi für problematisch hält.

Er hat jetzt übrigens sehr massiv zum Dschihad in Syrien aufgerufen. Syrien ist ein ganz, ganz wichtiges Thema. Er hat es nicht christenfeindlich oder judenfeindlich begründet – da kommt jetzt die Abgrenzung zum Zug, von der ich gesprochen habe –, sondern er spricht die Sunniten der Welt an und sagt ihnen: „Jetzt bewegt euch doch mal und helft den Sunniten in Syrien! Kämpfen, beten, spenden, alles, was möglich ist! Oder wollt ihr etwa, dass diese Aufgabe von den Christen, den Juden oder der NATO übernommen wird?“ Er redet also nicht gegen Christen, Juden oder die NATO, sondern er versucht, die Sunniten zu mobilisieren, in dem er ihnen sagt: „Das sind wir, und das ist unsere Aufgabe. Und das sind die Anderen.“

Diese Art der Argumentation hat etwas ganz stark Trennendes. Und jemand, der sehr stark zwischen „Wir“ und „Die Anderen“ trennt, ist natürlich für eine Gesellschaft, in der wir versuchen wollen, miteinander zusammenzuleben, problematisch – zumal dann, wenn es um einen Verein geht, der Kinder in diesem Sinne erziehen möchte. Und beim Salafismus geht es dann ja auch noch einmal um ein „Wir sind die – und wir sind die besseren!". Die Aufwertung des „Wir“ führt zur Abwertung „der Anderen“. Das sind problematische Positionen – die aber diskutiert werden müssen. Deswegen halte ich nichts davon, dass man den Kindergarten schließt. Wir brauchen jetzt wirklich eine Diskussion, damit verstanden wird, was die zu kritisierenden Punkte sind.

Reinbold 
Da würden natürlich jetzt viele in Deutschland sagen. „Also, mit Verlaub: Wer zum Dschihad aufruft, sei es in Syrien und mit welcher Begründung auch immer, der hat in Deutschland nichts zu suchen! Das geht doch nicht, dass wir solche Leute reden lassen und da öffentliches Geld reinstecken!“

Diaw 
Grundsätzlich: Wenn „der Islam“ oder „die Muslime“, wie sie in der Gesellschaft wahrgenommen werden, in Kontakt kommen mit bestimmten politischen Vorstellungen, vielleicht noch kombiniert mit dem Anspruch, sie mit Gewalt durchzusetzen, dann reagiert man natürlich empfindlich. So ist es ja auch bei anderen politischen Gruppen oder Weltanschauungen, seien sie religiös oder säkular. Früher war es die extreme Linke oder die extreme Rechte, die ja auch beobachtet wird, und so weiter. So ist es bei allen, die sich außerhalb des Spektrums begeben, das gesellschaftlicher Konsens ist, das sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegt.

Syrien ist ein Konflikt, in dem verschiedenen Parteien eine Rolle spielen, auch nicht-muslimische Parteien, die USA, die jetzt die Rebellen unterstützen wollen, auf der anderen Seite die Russen, der Iran, die Hisbollah, die auch bedenklich sind, und so weiter. Da ist es natürlich noch einmal etwas anderes, wenn jemand sagt: „Unterstützt die Leute, die in Syrien kämpfen!“ Grundsätzlich ist es so, dass alles, was an politisch-religiöser Motivation formuliert wird, heute über das Internet leicht zugänglich ist, als PDF-file, als Video- bzw. MP3-file, und so weiter. Jeder kann sich das jederzeit besorgen. Es ist kein Problem, daran zu kommen. All das erweckt natürlich Misstrauen, man reagiert darauf empfindlich.

Man muss von der muslimischen community mehr Sensibilität erwarten. Wir haben gerade ein paar ähnliche Fälle gehabt, als wir Studentengruppen beraten haben in Fragen der Einladepolitik. Man wundert sich, welche Leute sie teilweise einladen! Die denken sich wirklich nichts dabei.

Reinbold 
Macht es denn die Sache besser, wenn sie sich nichts dabei denken? 

Diaw 
Nein. Es fehlen das Verständnis und die Information. Ich will jetzt nicht sagen, dass sie naiv sind. Aber sie haben einfach nicht dieselben Zugänge wie wir, die wir uns ständig damit beschäftigen und auseinandersetzen. Sie denken sich: „Das ist ein Muslim. Der sagt gute Sachen. Was habt ihr denn gegen den?“ Den gesellschaftlichen, medialen, politischen Diskurs, den wir führen, den können sie nicht sofort nachvollziehen. Es sind ja teilweise junge Leute, enthusiastische Leute, die etwas tun wollen für ihre Religion. Die laden dann eben den ein, der gut reden kann. So passiert es manchmal.

Und es ist manchmal wirklich schwierig, sie vom Gegenteil zu überzeugen. „Ach, was habt ihr gegen den?“ heißt es dann. „Dann laden wir ihn erst recht ein!“ Das ist nicht einfach. Sie haben dieses Gefühl, eine Minderheit zu sein. Sie sagen: „Ach, die sind sowieso gegen uns – und du stellst dich jetzt auch auf ihre Seite!“ Dann kommt man mit Argumenten manchmal nicht gleich zum Ziel. Und natürlich: Wie sie sich letztendlich entscheiden, ist ihre Sache. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, auch. 

Dantschke 
Noch ein Punkt zu Al-Arifi: Er sollte im Dezember 2012 beim islamischen Zentralrat der Schweiz – das ist die Dachorganisation des Salafismus in der Schweiz – auf dem Jahreskongress der Promi sein. Aber die Schweiz hat ihm die Einreise verweigert und hat für den gesamten Schengen-Raum ein Einreiseverbot verhängt. Begründet wurde das nicht mit dem Aufruf zum Dschihad, sondern mit dem Vorwurf der Homophobie und der Gewalt gegen Frauen.

Wenn man sich allerdings seine Position zu diesen Themen anschaut, dann stellt man fest, dass es keine besonders extreme Position ist. Sie deckt sich vielmehr mit der Meinung vieler anderer sehr, sehr konservativer Gelehrter. Das ist der Punkt, der ihn zum Märtyrer gemacht hat. Deswegen müssen wir die gegebene Begründung argumentativ erklären: Warum ist es schlimm, wenn einer sagt, dass der Mann die Frau schlagen darf? Sure 4,34 wird ja von vielen so interpretiert: Wenn die Frau nicht gehorcht, hast du sie zu ermahnen; wenn sie dann immer noch nicht gehorcht, darfst du das Bett nicht mehr mit ihr teilen; wenn sie dann nicht gehorcht, darfst du sie schlagen. Al-Arifi sagt nicht: du darfst sie prügeln. Er sagt: schlagen, symbolisch schlagen – und das ist die gängige Interpretation dieser Sure.

Was heißt das aber für das Alltagsleben in muslimischen Familien? Was heißt es für das Leben in traditionellen patriarchalischen Familien, wo der Mann sich dann das Recht herausnimmt, Gewalt gegen die Frau auszuüben? Das sind die Probleme, die diskutiert werden müssen, gemeinsam, miteinander. Es bringt relativ wenig, wenn ich jetzt sage. „Du musst das und das tun.“ Das bringt nichts. Ich bin da mehr dafür, in eine Diskussion einzusteigen, um dieses Verständnis, dieses Menschenbild zu hinterfragen.

Reinbold 
Also nicht sagen: „Wir lassen den in Deutschland gar nicht rein“, wie es die Schweizer gemacht haben? 

Dantschke 
Das Witzige ist ja, dass er in Deutschland eingereist ist, obwohl es dieses Schengen-Einreiseverbot gab. Keiner weiß, wie er hereingekommen ist. Es gibt eine Anfrage im Bundestag, um das zu klären. Er ist durch ganz Deutschland gereist, Mainz war nur eine Zwischenstation. Er war auch bei uns in Berlin. Das wussten wir auch, das war alles bekannt. Insofern ist das noch einmal eine andere Frage, wieso Deutschland ihn hereingelassen hat, obwohl die Schweiz für den Schengenraum ein Einreiseverbot erlassen hatte.

Wichtig ist: Die Gemeinde vor Ort in Mainz hat damit argumentiert, dass Al-Arifi in Mainz nichts Schlimmes gesagt hat. Darauf kommt es aber nicht an. Der Punkt ist: Wenn der Imam oder der Vorstandsvorsitzende den Kindern und Jugendlichen in der Gemeinde diesen Prediger, diesen Gelehrten präsentiert, dann ist er für die Kinder automatisch und unabhängig davon, was er an diesem Tag sagt, die Autorität, die in der Gemeinde akzeptiert ist. Und dann geht es los: Internet, Youtube, und so weiter. Dort hören die Jugendlichen sich dann die anderen Sachen an. Also: Es ist unwichtig, was er hier gesagt hat. Seine Person an sich und seine Position sind wichtig.

Reinbold 
Also: Hier ist eine Grenze überschritten – aber man sollte es diskutieren, nicht einfach verbieten oder ablehnen.

Dantschke
Ja.

Reinbold
Stimmen Sie zu, Herr Diaw?

Diaw 
Es ist pädagogisch nicht wertvoll, einfach „Nein“ zu sagen. Es schafft manchmal nur mehr Widerstand und eine Haltung des „Wir und die anderen mögen uns nicht. Warum dürfen wir nicht? Erklärt uns das doch wenigstens!“ Das wissen wir aus der Pädagogik. Man sollte Dinge erklären, damit es verständlich wird. Man kann natürlich sagen: „Nein! Das ist ein Befehl!“. Aber es wird nicht zum Erfolg führen. Am besten ist es, sich in Diskussionen mit den Menschen auseinanderzusetzen und die verschiedenen Positionen darzulegen. Es kann ja auch sein, dass die Mehrheitsgesellschaft manche Dinge nicht richtig sieht. Da muss man erst einmal ins Gespräch kommen. Man muss sich das gegenseitig erklären, sich gegenseitig die Standpunkte darlegen. Das Ganze ist sehr emotional aufgeladen. Deswegen ist es oft sehr schwierig.

Viel schwieriger noch, und das vergisst man oft, sind die innermuslimischen Diskussionen. Muslime können vortrefflich streiten. Wer sich einmal mit Paltalk beschäftigt und in die verschiedenen Räume hineingeht, der sieht, wie da wirklich die Fetzen fliegen. Die Diskussionen innerhalb der muslimischen Gemeinden sind viel stärker und teilweise viel aggressiver als der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit diesen Gruppen – weil sie natürlich ein viel besseres Verständnis haben und weil immer auch die eigene Religiosität von der jeweils anderen Gruppe angezweifelt oder angefragt wird. Die innerkonfessionellen, innerreligiösen Streitigkeiten sind oft viel härter.

Der innermuslimische Streit um den Salafismus

Reinbold 
Gibt es an der Stelle einen innermuslimischen Diskurs, den man nutzen kann? Gibt es jemanden, der dort moderierend wirkt? 

Dantschke 
Ich leite ein Projekt in Berlin, in Neukölln. Gerade vor einer Woche haben wir eine solche Veranstaltung gemacht. Das Entscheidende bei der Salafiyya ist ein sehr dogmatisches Gottesbild. Gott ist ein strafender Gott. Im Zentrum steht eine Angstpädagogik. Es gibt eine permanente Angst, etwas falsch zu machen und dann automatisch in der Hölle zu landen. Es ist ein Schwarz-Weiß-Bild.

Nun hat Professor Khorchide aus Münster versucht, an dieses Gottesbild heranzugehen und zu schauen: Ist Gott sozusagen ein Diktator? Ein Buchhalter, der aufschreibt, was du richtig und falsch gemacht hast? Oder ist er nicht eher ein Gott der Barmherzigkeit? Diese Frage haben wir zu einer Debatte gemacht. Wir haben Herrn Khorchide eingeladen und dazu Vertreter der Muslime von Milli Görüş über die puristische Salafiyya bis hin zu sehr weltlichen Muslimen. Mit ihnen haben wird eine Kiezdiskussion gemacht zur Frage: „Verbietet Gott den Spaß im Leben?“ Ist Gott einer, der will, dass du ihm dienst, der aber nicht will, dass du dich selbst verwirklichst? So wird es ja von manchen radikalen salafistischen Predigern immer wieder gesagt. Und das funktioniert! Es war ein Publikum, ähnlich wie hier, ganz gemischt. Und es funktionierte, es war eine gute Diskussion.

Wichtig dabei war: Muslime saßen nicht auf der Rechtfertigungsbank, sondern Muslime waren die Akteure. Das ist ja oft das Problem, dass ein Muslim hingesetzt wird auf ein Podium, und dann soll er sich für „die Muslime“ rechtfertigen. Egal, wie seine persönliche Haltung ist. Sie kennen die Talkshows: Da wird Nora Illi aus der Schweiz geholt.

Reinbold
Das ist die mit dem Sehschlitz. Sie ist konvertiert und trägt einen Niqab

Dantschke
Genau. Und sie repräsentiert dann in der Sendung scheinbar alle praktizierenden, tief gläubigen Muslime. Ihr gegenüber sitzt dann zum Beispiel Necla Kelek, die die anderen Muslime repräsentiert. Das Problem ist: Beide Frauen repräsentieren nur ganz kleine Gruppen. Wir brauchen Diskussionen auf Augenhöhe, in denen die Vielfältigkeit der Muslime sichtbar wird.

Diaw 
Wichtig ist, dass Muslime nicht entmündigt werden, dass sie sich nicht entmündigt fühlen. Oder dass die Auskunft, die sie über sich selber geben, quasi nicht akzeptiert wird. Sie haben uns vorhin als „Experten“ bezeichnet. Wir würden uns beide nie als „Experten“ bezeichnen, sondern wir beschäftigen uns nur mit dem Thema …

Reinbold
Was ein anderes Wort dafür ist …

Diaw
Manchmal kommen diese „Experten“, die dann überall im Fernsehen auftauchen und über „die Muslime“ reden und über sie Auskunft geben, anstatt dass Muslime selber über sich Auskunft geben. Deswegen fühlen sie sich oft nicht verstanden und haben dann einen Grund, sich zurückzuziehen. Es ist wichtig, die Muslime selbst einzubeziehen – wie es ja viele Projekte auch machen, zum Beispiel das Haus der Religionen, in dem wir uns hier befinden.

Reinbold 
Sie plädieren also dafür, diesen innermuslimischen Streit, von dem Sie sprachen, zu nutzen, ihn öffentlich sichtbar zu machen und die Debatte herauszuholen aus der Verteidigungssituation und dann diese Vielfalt wirken zu lassen. 

Diaw 
Das Sichtbarmachen würde eigentlich genügen. Es hat diese Diskussionen ja immer schon gegeben. Sonst wären die verschiedenen muslimischen Fraktionen, Gruppen, Strömungen und Konfessionen gar nicht entstanden. Oft sind sie als Reaktion auf eine andere Strömung entstanden oder als Reaktion auf die Lebenswirklichkeit, auf die politisch-sozialen Gegebenheiten.

Wenn Sie heute zu uns an die Universität Osnabrück kommen, dann finden Sie ein breites Spektrum von unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Studierenden. Auch bei den Imamen gibt es ein breites Spektrum, Frau Dantschke kennt das. Wenn Muslime unter sich sind – wie dann manchmal über andere Gruppierungen geredet wird und über deren Islamverständnis! Das ist die Realität. Die Moscheegemeinden haben unterschiedliche weltanschauliche Zugänge. Das ist nicht der monolithische Block, „die Muslime“. Den gibt es ganz einfach nicht. Das muss sichtbar werden.

Und noch einmal: Oft hat man das Gefühl, dass man nicht über sich selber Auskunft geben kann. Man wird irgendwie entmündigt, sei es beim Thema „Kopftuch“, um das es einmal in der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ging, oder was auch immer. Von der Neuköllner Veranstaltung habe ich jetzt zum ersten Mal gehört. Ich wäre gern dabei gewesen und hätte gern gesehen, wie das ausgegangen ist, wie das funktioniert, was da geredet wurde. Das ist eine gute Möglichkeit zu zeigen, dass Muslime kein monolithischer Block sind – „der Muslim“, der so und so denkt, so und so handelt –, sondern sehr differenziert. Das gilt selbst für das salafistische Spektrum. Wer sich nur ein bisschen auskennt, wird das sofort merken.