Zum Gespräch: „Ein Koran mit Saiten“ – Musik bei den Aleviten
Zum Gespräch: Was genau ist eigentlich Alevitentum?
Wichtige Grundsätze des alevitischen Glaubens sind die folgenden:
- Aleviten glauben an den einen und einzigen Gott (Allah/Hak). Er ist der Schöpfer, der Gerechte, der Allgegenwärtige und der Weise. Er hat alles geschaffen, was existiert und will durch die Schöpfung sein Geheimnis offenbaren. Gott lässt alle Lebewesen an sich Anteil haben. Es ist für Menschen unmöglich, den vollen Umfang der göttlichen Wahrheit zu erfassen geschweige denn zu beschreiben. Der Mystiker Yunus Emre (13./14. Jh.) formulierte diesen Glauben folgendermaßen: „Wohin ich schaue, sehe ich Gott. Die Göttlichkeit existiert in allem, weil alles von Gott kommt“.
- Aleviten glauben an den Propheten Mohammed als den Gesandten Gottes sowie an den Weisen Ali als den Auserwählten Gottes.
- Das Buch Buyruk formuliert den Empfang der Gottesbotschaft an Mohammed wie folgt: „Mohammed erreichte die höchste Stufe des Himmels. Dort begegnete er seinem Freund. Bei dieser Begegnung wurden 90.000 Worte ausgesprochen. 30.000 dieser Worte wurden Mohammed offenbart, und sie bilden Recht und Ordnung. Die übrigen 60.000 Worte wurden Ali als Geheimlehre offenbart.“ Ali ist Gottes Auserwählter, sein Heiliger. Er lebte heilig und zeigte den Menschen den Weg zu Gott.
- Aleviten glauben, dass Gott Mohammed den Koran offenbarte. Der wahre, heilige Koran ist bei Ali bewahrt. Die von Muslimen verwendete Fassung wird von Aleviten nicht als authentisch angesehen, die „Fünf Säulen“ des Islam werden abgelehnt.
- Das alevitische Glaubensbekenntnis lautet: „Es gibt einen Gott (Hak/Allah), Mohammed ist sein Prophet und Ali sein Auserwählter/Freund“. Aleviten verwenden dieses Glaubensbekenntnis in einer Kurzform: „Ya Allah, ya Muhammet, ya Ali“.
- Aleviten glauben an eine geistige Gemeinsamkeit, die Gott, Mohammed und Ali so umfasst, dass es angemessen ist, diese Gemeinsamkeit als „Identität“ zu beschreiben. Diese Identität wird in der Glaubensaussage „HakMuhammetAli“ auf die kürzestmögliche Form gebracht. Hak-Muhammet-Ali werden zusammen an- und ausgesprochen und in gleicher Weise angebetet. Mohammed und Ali gehören zum Licht Gottes, das das Universum seit der Schöpfung erhellt. In einem Gedicht heißt es: „Hak-Muhammet-Ali strahlen dasselbe Licht aus. Trenne sie nicht voneinander, denn es sind drei in einem. Sie zeigten uns den richtigen Weg.“
- Aleviten glauben an eine heilige Kraft des Schöpfers, die auf die Menschen als unsterbliche Seele übertragen wurde. Jeder Mensch hat Anteil an der heiligen Kraft. Jeder Mensch besitzt Eigenschaften Gottes. Gott hat alle Menschen gleichwertig geschaffen. Aleviten betonen dies mit dem Spruch: „Betrachte alle Religionsgemeinschaften und alle Völker als gleichwertig.“
- Aleviten versuchen, die Vervollkommnung zu erreichen (insan-ı kamil olmak). Das gemeinsame Gebet und die Herstellung des „Einvernehmens“ (rızalık) unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gottesdienste zielen auf die Reifung aller Gläubigen. Der Weg zur Vervollkommnung ist der Weg der „Vier Tore und Vierzig Regeln“ (mehr).
- Aleviten glauben, dass jeder Mensch seine heilige Kraft, die eine Gabe Gottes ist, durch den eigenen Weg in sich entdecken kann. Gott hilft und gibt den Menschen Kraft, diesen Weg einzuschlagen. Am Ende dieses Prozesses kann sich der Mensch mit Gott wiedervereinigen.
Die Alevitische Gemeinde Deutschland fasst die Eigenschaften eines Aleviten wie folgt zusammen:
Ein Alevit
- trägt die Heiligkeit von Gott (Hak/Allah), Mohammed und Ali (Vetter und Schwiegersohn von Mohammed) in seinem Herzen
- ist Alis Gerechtigkeit absolut treu (er verstößt niemals gegen Alis Gerechtigkeitssinn)
- beherbergt in seinem Herzen die Menschenliebe
- achtet und toleriert jede Religion, Konfession, Glaubensrichtung
- macht keine diskriminierenden Unterschiede aufgrund von Sprache, Religion, ethnischer Zugehörigkeit oder Hautfarbe
- beherrscht sein Ego
- ist aufrichtig, freundlich, barmherzig, gerecht, liebevoll
- legt großen Wert auf Wissen und beschäftigt sich besonders mit geistlicher Wissenschaft
- strebt die eigene geistige Entwicklung an
- wendet sich angstfrei und mit Liebe zu Gott hin
- sieht Gott und Menschen als eine Einheit (im Einssein) an.
(nach: Ismail Kaplan, Glaubensgrundlagen und Identitätsfindung im Alevitentum, in: F. Eißler [Hg.], Aleviten in Deutschland, 2010, 29–76).