Was sie noch nie über Sex wissen wollten

Zum Gespräch: LSBTTI. Übertreiben wir’s mit der sexuellen Vielfalt?


Aus: Christian Weber, Was sie noch nie über Sex wissen wollten, Süddeutsche Zeitung, 24.4.2014

Achtung, keine Satire. Sondern: eine völlig ernst gemeinte praktische Übung für den Sexualkundeunterricht, wie sie ein erfahrenes Autorenteam aus Professoren und Pädagogen für 15-jährige Schüler vorschlägt – Überschrift: „Der neue Puff für alle“. Aufgabe: Ein Bordell in der Großstadt soll modernisiert werden, das als „Freudenhaus der sexuellen Lebenslust“ alle Bedürfnisse bedienen soll.

Allerlei sei zu bedenken, heißt es in der Aufgabenstellung, „verschiedene Lebensweisen und verschiedene sexuelle Praktiken und Präferenzen“. Es mache schließlich einen Unterschied, ob eine Prostituierte ganz konventionell einen weißen heterosexuellen Mann bedienen wolle oder Frauen mit muslimischer (oder katholischer) Religionszugehörigkeit oder Trans-Frauen, die zugleich lesbisch sind. […]

Wer das […] für erfunden hält, kann es selber nachlesen, bei Elisabeth Tuider u.a., „Sexualpädagogik der Vielfalt“, Verlag Beltz/Juventa, 2012, Seite 75. Das Buch gilt als Standardwerk, das von großen sexualwissenschaftlichen Institutionen empfohlen wird. Tuider leitet das Fachgebiet Soziologie der Diversität an der Universität Kassel. Sie und ihre Kollegen haben sich noch viele weitere Übungen ausgedacht. Als erste „Annäherung an das Thema Liebesbeziehungen“ – Altersstufe: ab zwölf Jahren – sollen die Schüler ein Arbeitsblatt ausfüllen. Es gilt „Ja/Nein“ anzukreuzen bei zwei Dutzend Statements, die den Satz „Zur Liebe gehört für mich . . .“ vollenden. Zur Auswahl stehen unter anderem: „mindestens jeden zweiten Tag miteinander Sex zu haben“, „die Freiheit, mit anderen ins Bett zu gehen“ und: „Oralverkehr“. Was halt so ansteht im Sexualleben der 12-Jährigen.

In der Übung „3 – 2 – 1 – deins!“ sollen 14-Jährige in einer virtuellen Auktion Gegenstände für alle sieben Parteien eines Mietshauses ersteigern, darunter eine alleinerziehende Mutter, ein schwules Paar, ein lesbisches Paar mit zwei kleinen Kindern, eine betreute Wohngemeinschaft für drei Menschen mit Behinderungen (zwei Frauen mit Downsyndrom und ein Mann im Rollstuhl), eine Spätaussiedlerin aus Kasachstan. Nur eine Kleinfamilie mit Mutter, Vater, Kindern ist nicht vorgesehen. Versteigert werden da unter anderem: Dildo, Kondome, Potenzmittel, Handschellen, Aktfotos, Vaginalkugeln, Windeln, Lack/Latex oder Leder. In einer weiteren Übung sollen die Jugendlichen sich entscheiden, ob Vibrator, Reizwäsche, Herren-Tanga, „Taschenmuschi“ oder Lederpeitsche unbedingt zu ihrer Sexualität gehören. Was sich 14-Jährige neben der Xbox 360 halt noch so von Oma und Opa zum Geburtstag wünschen.

Siebtklässler sollen sich damit auseinandersetzen, ob „Sadomasochismus und Fetischismus eigentlich nur sexuelle Vorlieben oder auch Identitätsbausteine sind“, wie das gelehrte Autorenteam empfiehlt, Lernziel: „Die Jugendlichen sollen Heterosexualität als Norm infrage stellen.“ Und bestimmt möchten 13-Jährige, so wie auf Seite 151 des Werks vorgeschlagen, im Plenum in frei gewählter Form – „als Gedicht, als Bild, als Skulptur, als Theaterstück, Sketch“ – ihr „erstes Mal“ in verschiedenen Bereichen vortragen. Dazu sollen sie Kärtchen ziehen: „Das erste Mal ein Kondom überziehen, das erste Mal ein Tampon einführen, das erste Mal Analverkehr.“

Muss man ein verklemmter, pietistischer und homophober Spießer sein, wenn man sein Kind nicht mit allergrößter Begeisterung in diese Art von Unterricht schicken möchte? Es klingt es ja erst mal sinnvoll, wenn etwa das umstrittene Arbeitspapier des Kultusministeriums von Baden-Württemberg zur Bildungsplanreform 2015/18 zur „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ auffordert. […] Pflichtgemäß hat man mit dem Kopf genickt, als die Leitartikler die Proteste gegen dieses Lernziel gegeißelt haben. Wenn man aber nachliest, was unter einer „Sexualpädagogik der Vielfalt“ möglicherweise konkret zu verstehen ist, wird einem doch komisch zumute.

Die genannten Übungen sind keine Extrembeispiele von ein paarübererregten Sexualpädagogen. Dahinter steckt Methode. Ausdrücklich vertritt das Autorenteam um Elisabeth Tuider die Ansätze der „dekonstruktivistischen Pädagogik sowie der (neo-)emanzipatorischen Sexualpädagogik“. Zu deren Zielsetzung gehöre ausdrücklich die „Vervielfältigung von Sexualitäten, Identitäten, Körpern“, darüber hinaus solle „auch bewusst Verwirrung und Veruneindeutigung angestrebt werden“. […]

Natürlich: Die körperliche Liebe geht viele Wege. Es gibt Sex vor und außerhalb der Ehe. Homosexuelle müssen Achtung erfahren. Manche Menschen tragen beim Geschlechtsverkehr gerne Leder. Und Eltern müssen nicht gleich hysterisch werden, wenn der Nachwuchs mal ein Pornofilmchen guckt. Weder der Papst noch Alice Schwarzer sollten den Menschen vorschreiben, wie sie ihre Sexualität leben.

Doch genauso aufdringlich ist es, wenn Pädagogen alle gendertheoretischen Denkübungen aus dem soziologischen Seminar einfach mal so an ihren Schülern ausprobieren – mit dem erklärten Ziel, diese in ihrer Geschlechtsidentität zu verwirren. Eine fahrlässige Pseudo-Aufklärung ist das, wenn Sex als völlig unproblematische, unverbindlich zu nutzende Spaßquelle vermittelt wird, die nichts mit Beziehungen zu tun haben muss. Das ist es nicht, was Mädchen und Jungen benötigen, die erste Erfahrungen mit Liebe und Sex machen. Sie brauchen nicht noch extra mehr Durcheinander, als ohnehin schon in ihren Köpfen herrscht.