Zum Gespräch: Wie weiter mit den Religionen?
Warum ist die Stimmung in Deutschland in Bezug auf Muslime so schlecht?
Reinbold
Herr Friedrichs, ich komme noch einmal auf die Studie aus dem Jahr 2010 zurück, an der Sie beteiligt waren. Die Stimmung in Deutschland gegenüber Islam und Muslimen ist deutlich schlechter als in Frankreich, Holland, Dänemark und Portugal. Gibt es eine Antwort darauf, warum das so ist? Haben die Deutschen eine besondere Aversion gegen Muslime, die die Franzosen nicht haben?
Friedrichs
Zunächst einmal muss man vielleicht sagen, was die Deutschen definitiv haben: Sie haben weniger Offenheit. Sie können weniger gut mit Vielfalt umgehen. Sie haben, da deutet alles darauf hin, weniger „Ambiguitätstoleranz“, wie wir sagen, das heißt, sie können nicht so gut mit Widersprüchen umgehen, nicht so gut widersprüchliche Erwartungen integrieren. Das schlägt sich in einem insgesamt negativeren Bild von Muslimen nieder.
Reinbold
Wenn ich kurz unterbrechen darf. Ist es so, dass man sagt: Also, wenn der dahergelaufene syrische Muslim bei uns sein will, dann muss er ein einhundertprozentiger Verfassungspatriot sein, sonst geht das nicht.
Friedrichs
Nicht ganz. Ich möchte beinahe sagen: Wenn es diese Haltung wäre, dann hätten wir schon einmal eine Grundlage, mit der wir arbeiten könnten. In Wirklichkeit ist es noch schwieriger.
Wenn man in einem Satz zusammenfassen sollte, was herausgekommen ist, dann ist es eine ganz klare Anpassungserwartung. Die Deutschen haben eine, wenn man so will, „tolerante“ Position in dem Sinn, dass sie bereit sind, Muslime in diesem Land zu dulden, im wörtlichen Sinn. Es geht um Duldung. Es geht weniger darum, dass ich bereit bin, den Muslim als gleichberechtigt, als Teil dieser Gesellschaft zu akzeptieren.
Die Haltung ist: Muslime sind hier, sie dürfen auch hier sein, aber eigentlich möchte ich gar nicht sehen, dass sie anders sind als ich. Eigentlich möchte ich, dass sie genau so sind wie ich. Ich möchte die Differenz zum Verschwinden bringen. Zumindest möchte ich, dass sie nicht öffentlich sichtbar wird. In diesen Kontext lassen sich sicherlich auch die Debatten um Moschee- und Minarettbau in Deutschland einordnen. Solange das eine Hinterhofmoschee ist, ist das nicht so problematisch. Wenn es aber ein repräsentativer Bau wird, dann möchten die Leute das eher nicht haben.
Reinbold
Heißt das, dass es überall da, wo es sichtbar wird, schwierig wird? Also wenn Muslime auf der Straße beten, weil die Moschee voll ist, dann wird das als Provokation empfunden?
Friedrichs
Das wird tatsächlich von vielen so empfunden. Die Religionsfreiheit wird sehr hoch gehalten, 90 Prozent sagen, das ist wichtig. 80 Prozent sagen, dass man alle Religionen respektieren muss. Wenn es aber um konkrete Inhalte geht: Ob Moscheen gebaut werden sollen in Deutschland, ob Minarette gebaut werden sollen, ob es muslimischen Mädchen erlaubt sein soll, aus religiösen Gründen ein Kopftuch in der Schule zu tragen – dann finden sich nur noch Minderheiten, die das befürworten und gestatten wollen. Ich denke, das hat wirklich sehr viel mit der Sichtbarkeit des Islams zu tun, die in Deutschland als Provokation erlebt wird. Damit können die Menschen in anderen Ländern offenbar deutlich gelassener und toleranter umgehen.
Al-Mousllie
Vielleicht kann ich an dieser Stelle auch noch ergänzen. Ich glaube, ich könnte der größte Verfassungspatriot sein – trotzdem ist es so, dass immer wieder von mir verlangt wird, dass ich das sage und demonstriere. Nicht wenige nutzen quasi jede Chance, um das anzuzweifeln. Leider Gottes hat es zum Teil auch schlechte Erfahrungen gegeben, über denen das Positive auf der Strecke blieb. Dabei spielen die Medien eine große Rolle. Ich persönlich merke allerdings, dass es bei den Medien ein gewisses Umdenken gibt, hin zu einer differenzierteren Darstellung. Das ist das, was wir brauchen.
Eine Sache möchte ich noch ergänzen. Sie haben gesagt: Leute, die sich sozial engagieren, sind oft sehr religiös. Ich finde: Das sollten wir stärker sichtbar machen. Natürlich setzen sich nicht nur religiöse Menschen ein. Aber diejenigen, die religiös sind und sich einsetzen, die sollten das auch damit begründen, dass sie religiös sind: Deswegen setze ich mich für meinen Nachbarn ein, deswegen setze ich mich für meinen älteren Nachbarn ein, für meine Kinder, für meine Frau, für meine Mutter oder ähnliches. Das ist etwas, was wir leider sehr wenig oder sehr selten hören. So verschwindet es aus der Gesellschaft, und es wird eher peinlich, darüber zu reden.
Wegner
Noch ein Wort zur Islamfeindlichkeit in Deutschland: Ich glaube, dass wir Deutschen wirklich eine spezifische Art von Rigidität praktizieren. Das ist so beim Thema „Islam“, und es ist auch in internationalen Fragen häufig so.
Mir ist das ganz deutlich geworden angesichts der Wirtschaftskrise in Europa und unseres Verhältnis zu Griechenland. Wir haben auf einmal über die Griechen geredet, als müssten die Griechen alle Preußen werden. Nur wenn sie Preußen werden, können sie aus ihrem Schlamassel gerettet werden, und das liefert uns die Legitimation – jetzt werde ich mal etwas politisch –, Griechenland im Augenblick auf den Abgrund zumarschieren zu lassen. Kein Mensch in der öffentlichen Debatte hat mal gefragt, warum das in Griechenland so ist, wie es ist. Die Griechen haben eine ganze andere Wirtschaftskultur, eine andere Staatskultur, eine andere politische und religiöse Kultur. Keiner hat sich um ein Verstehen dieser Unterschiede bemüht, und Griechenland ist durch diese Politik wirtschaftlich vor die Wand gefahren worden. Das ist Prinzipienreiterei. Das steckt offenbar in uns drin, woher das auch immer kommen mag.
Reinbold
Herr Friedrichs, was Sie gesagt haben, klingt sehr negativ. Sie haben gesagt, dass das Problem vergleichsweise leicht zu lösen wäre, wenn der Streit um den Grad des Verfassungspatriotismus ginge. Tatsächlich aber, so sagen Sie, geht es um die Abstammung, und gefordert wird vollständige Anpassung. Das klingt so, als gäbe es kein Entrinnen daraus. Stecken wir da in der Falle?