Zum Gespräch: Neue Heimat Deutschland. Was tun die Religionen für die „Integration“?
Was tun Moscheen für Integration?
Reinbold
Herr Güvercin, ich hatte begonnen mit der schlichten Frage: Wie reagieren Sie, wenn Sie hören, dass die Kinder ihres Nachbarn regelmäßig in die Moschee gehen? Nach meiner Erfahrung reagieren viele mit Ablehnung, weil sie nicht glauben, dass in den Moscheen etwas stattfindet für die Integration. Ist das ein bloßes Vorurteil, das daher rührt, dass die Leute einfach nicht wissen, was in einer Moschee wirklich läuft? Oder gibt es auch Haltungen, wo Sie sagen würden: Das ist nicht nur ein Vorurteil, sondern da ist tatsächlich etwas dran, und da müssten wir auch muslimischerseits ran?
Güvercin
Ich kenne solche Reaktionen natürlich. Wenn die Leute hören, dass ein Kind die Moschee besucht, dass es dort Koranunterricht bekommt, dann entstehen im Kopf bestimmte Vorstellungen und Bilder. „Koranschule“ und „Parallelgesellschaft“, diese ganzen Schlagworte.
Die Moscheen waren zu Beginn provisorische Einrichtungen in den Hinterhöfen. Da haben Gastarbeiter gesagt: Wir brauchen einen Treffpunkt, eine Moschee, da machen wir mal irgendetwas. Und dann haben sie mit sehr kleinen Mitteln die berühmt-berüchtigten Hinterhofmoscheen gegründet. Mittlerweile rückt die Institution Moschee immer mehr in das Zentrum einer Stadt. Die Moscheen werden sichtbar. Aber das ist eine ganz junge Entwicklung. Wenn etwas unsichtbar ist, dann macht man sich so seine Gedanken. Man bekommt über die Medien mit, was in Koranschulen in Pakistan vor sich geht, und so weiter. Ich mache es denjenigen nicht zum Vorwurf, die Vorurteile haben. Sie haben keine Erfahrung, keine direkte Erfahrung gehabt …
Reinbold
… die Moscheen müssen sichtbar werden, höre ich …
Güvercin
Genau, es muss sichtbar werden. Aus muslimischer Sicht kann man nicht immer sagen: „Immer diese Vorurteile, diese böse deutsche Mehrheitsgesellschaft! Die denkt doch, dass jeder Zweite mit einem Bombengürtel rumläuft!“ Klar, das ärgert einen, diese Vorurteile, aber man muss sie auch ernst nehmen, sie kommen ja nicht von ungefähr. Man muss einen Schritt auf die Gesellschaft zugehen. Das fängt mit der eigenen Nachbarschaft an. Ein Tag der offenen Moschee am Tag der deutschen Einheit wird seit über zehn Jahren veranstaltet, das ist eine schöne Institution. Allerdings muss das auch im Alltag ankommen. Es ist die Aufgabe der Moscheegemeinden und jedes Moslems, dafür zu sorgen, dass dieses Bild der Moscheen korrigiert wird, statt zu sagen: „Immer diese Vorurteile! Die Anderen sind die Bösen und wir sind die Opfer.“ Diese Opferhaltung macht einen passiv.
Es gibt junge Leute, die versuchen, Bewegung in die Strukturen der Moschee-gemeinden hineinzubringen. Das ist sehr, sehr mühsam. Ich habe im Vorfeld unserer Diskussion mit einem deutschen Muslim gesprochen, der seit Jahrzehnten aktiv ist. Sogar er hat mir berichtet, dass er teilweise müde ist, weil es einfach sehr schwierig ist, bestimmte verrostete Strukturen ein wenig aufzubrechen. Gerade bei den muslimischen Verbänden und Vereinen und Moscheegemeinden ist das sehr, sehr schwierig.
Man darf allerdings die Entwicklung nicht vergessen. Die Verbände und Moschee-gemeinden gibt es seit maximal 30 bis 40 Jahren. Es ist noch eine sehr junge Geschichte. Jetzt kommt eine neue Generation, die versucht, etwas frischen Wind hineinzubringen, und es besteht die Gefahr, dass die jungen Muslime enttäuscht sind, weil sie die Dinge nicht über Nacht ändern können, und sich zurückziehen. Da sehe ich eine große Gefahr. Es ist sehr, sehr wichtig, dass die jungen Muslime in diese Strukturen hineingehen, dass sie auf Gemeindeebene mit anpacken, damit sich die Strukturen ändern.
Reinbold
Haben wir hier eine Auseinandersetzung zwischen der jüngeren Generation der Muslime, die gern etwas tun würde, und der älteren, die sie nicht lässt?
Güvercin
Ich glaube, die ältere Generation ist da sehr flexibel. Es geht um die Funktionärsebene. Sie denkt sehr funktional. Strukturen zu ändern ist da sehr schwierig. Es sind interne Machtstreitigkeiten, die es sicher in jeder Gemeinde gibt, Parteipolitikermentalität. Aber es ist sehr, sehr wichtig, dass die Moscheen transparenter werden, dass die Moschee ein Ort der Begegnung wird.
Denn darum geht es ja. Eine Moschee ist nicht nur ein Gebetsraum. Der Gebetsraum ist, na klar, ein Teil der Moschee. Aber wenn Sie auf den Balkan nach Sarajevo gehen oder nach Istanbul und sich die alten osmanischen Moscheen anschauen, dann sehen Sie, dass der Gebetsraum nur ein Teil der Moschee ist. Eine Moschee war eine Anlage, in der es eine Armenküche gab, eine Bibliothek, medizinische Versorgung, Unterkunft für Reisende, Karawansereien, Stiftungen, die sich um die Moscheen gruppiert haben, und vieles andere mehr. Der Gebetsraum an sich war eher der kleinere Teil.
Reinbold
… das ist in der liberalen-jüdischen Gemeinde auch so, Frau Volodarska …
Güvercin
In Deutschland haben wir in der Regel nur einen Gebetsraum und dann vielleicht noch einen Raum für Jugendliche mit Kicker und Billardtisch. Aber das war es dann auch schon. Die Multifunktionalität einer Moschee, die über das Gebet hinausgeht, sie richtet sich übrigens nicht nur an Muslime. Wenn ein Christ in eine Moschee in Sarajevo gekommen ist, dann hat er auch eine Suppe in der Armenküche bekommen – da war kein Türsteher, der gesagt hat: du kommst hier nicht rein.