Zum Gespräch: Die Partei Alis. Was ist typisch für schiitische Muslime?
Aus: tageszeitung, 10. April 2009)
Die Imam-Ali-Moschee an der Außenalster gehört mit ihrer blauen Kuppel und ihren schmucken Minaretten zu den Sehenswürdigkeiten von Hamburg. Doch was wirklich in ihrem Inneren vorgeht, erschließt sich nur schwer. Besucher müssen sich meist mit offiziös klingenden Verlautbarungen distinguierter, Persisch sprechender Herren begnügen.
Dabei ist der Vorsitzende des dortigen Islamischen Zentrums, Seyed Abbas Hosseini Ghaemmaghami, sehr um den Dialog mit Nicht-Muslimen bemüht. Anders als seine Vorgänger mischt er sich in den öffentlichen Diskurs ein – das zeigen seine Interviews mit deutschen Medien wie dem Stern oder der Frankfurter Allgemeinen. Die vom Islamischen Zentrum herausgegebene Zeitschrift Al-Fadschr, früher auf „Nachrichten aus der Heimat“ fokussiert, berichtet heute ausführlich über Ghaemmaghamis Treffen mit dem Dalai Lama oder dem Präsidenten der Europäischen Kommission. Muslime seien verpflichtet, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Aus islamischer Perspektive gebe es keinerlei Probleme, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben.
Andererseits gilt das Islamische Zentrum als verlängerter Arm der iranischen Geistlichkeit in Europa. Sein Leiter fungiert als offizieller Stellvertreter des geistlichen Oberhaupts der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Khamenei. „Ayatollah Ghaemmaghami ist der offizielle Vertreter Imam Khameneis in Deutschland und kann euch ebenfalls wie das Büro im Iran Auskunft geben über die Meinung Imam Khameneis“, heißt es auf einer schiitischen Webseite […]. Allerdings sei Ayatollah Ghaemmaghami „ein eigenständiger Rechtsgelehrter mit eigenen Rechtsurteilen und Ansichten, die nicht deckungsgleich sein müssen mit den Rechtsurteilen Imam Khameneis“.
Zur Audienz bei Ayatollah Ghaemmaghami muss man sich im Büro der Imam-Ali-Moschee anmelden, wo einem bedeutet wird, man möge warten. Ein kleiner Mann mit wachen Augen taucht auf, es ist Djavad Mohagheghi, der Pressesprecher des Islamischen Zentrums. Der Ayatollah sei noch nicht so weit, „wollen Sie vielleicht die Moschee besichtigen?“ Durch die hohe Kuppel fällt Licht in den großen, runden Raum, auf dem Boden liegt einer der größten Teppiche der islamischen Welt. Es sei, sagt Mohagheghi, nicht leicht gewesen, ihn in die Moschee zu bringen.
Ein Großteil der Imam Ali-Moschee ist noch zu Schah-Zeiten gebaut worden, teils gegen den Widerstand der eigenen Botschaft in Bonn. Nach der iranischen Revolution wuchs die staatspolitische Bedeutung der Moschee und des dort sitzenden Islamischen Zentrums – zu den Vorgängern Ghaemmaghamis gehörte Seyyed Mohammad Khatami, der spätere iranische Staatspräsident. Die Lage sei so, dass die Führung in Teheran dem Ayatollah theologisch vorgesetzt sei, nicht aber politisch, sagt Djavad Mohagheghi und hebt entschuldigend die Hände. „Es ist kompliziert.“
Noch in seinem Bericht 2007 schätzte das dortige Landesamt für Verfassungsschutz das Islamische Zentrum Hamburg als „Instrument der iranischen Staatsführung“ ein, das wie andere pro-iranische Einrichtungen die „theokratische Staatsdoktrin“ der Islamischen Republik vertrete – und damit „eine Werteordnung, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist“.
Was nicht im Bericht des Verfassungsschutzes steht: Eine Gemeindestruktur wie diejenige des Islamischen Zentrums wäre im Iran unvorstellbar. Das Zentrum wird nicht nur von Iranern, sondern auch von Arabern genutzt. Sunniten sind explizit miteinbezogen, wozu passt, dass sich das Zentrum auch bei der Hamburger Schura engagiert, dem Dachverband Hamburger Moscheengemeinden, in dem Schiiten in der Minderheit sind. Innerhalb des Zentrums gibt es eine Gemeinde deutschsprachiger Konvertiten, die von Halima Krausen geleitet wird, der bislang einzigen in Deutschland tätigen Imamin.
Der universalistische Anspruch der iranischen Revolution – alle Menschen sollten unter dem Dach des Islam vereint werden – ist in der Hamburger Diaspora zu einer interreligiösen Toleranz mutiert, die sich um Zusammenarbeit bemüht, auch mit den Juden. Missionierung wird allenfalls durch die Blume betrieben, nicht aber mittels offen formulierter Überlegenheitsansprüche.
An die Grenzen seiner Toleranz kam das Islamische Zentrum allerdings bei den Bahai. Die schiitische Abspaltung mit eigenem Offenbarungsanspruch wird im Iran seit der Revolution verstärkt verfolgt, noch immer berichtet Amnesty International von „willkürlichen Inhaftierungen“. Als die Schura 2007 ihr Veto gegen die Aufnahme von Bahai in das „Interreligiöse Forum Hamburg“ einlegte, geschah dies auf Betreiben Ghaemmaghamis. Erst im November 2008 gab die Schura ihren Widerstand auf – ihre Vertreter, darunter auch Ghaemmaghami, erklärten sich damit einverstanden, das Vetorecht abzuschaffen. Seitdem sind Vertreter der Bahai offiziell bei dem Forum dabei.
Ghaemmaghami kommt aus einer alten, angesehenen Teheraner Familie. Den etwa einem Kardinal entsprechenden Rang eines Ayatollah erlangte er bereits mit weniger als 40 Jahren. Als Theologe hat er sich vor allem mit den Grundlagen des Itschtihad befasst, der selbstständigen Interpretation des islamischen Rechts. Ghaemmaghami hat sich in seinem Studium nicht nur mit islamischer Theologie beschäftigt, sondern auch mit westlichen Philosophen wie Kant und Gadamer. In den 90er Jahren ging er als Gastdozent an die Elite-Universität Berkeley im sündigen San Francisco, bevor er einige Jahre als Juniorprofessor an Teheraner Universitäten lehrte.
Die Audienz bei Ghaemmaghami läuft so ab, dass der Besucher auf einer niedrigen Couch sitzt, während jener sich auf einen einen erhöhten Stuhl zurückzieht und über die theologische Frage nachdenkt, die er beantworten will. Der Ayatollah trägt das lange Gewand der iranischen Geistlichkeit und ihre Kopfbedeckung, er wirkt älter, als er ist. Wenn er spricht, spricht er mit einer melodiösen, fast singenden Stimme, und seine Worte dulden keinen Widerspruch. Pressesprecher Mohagheghi übersetzt alles ins Deutsche und schreibt mit – nein, kein Misstrauen, „nur zur Sicherheit“.
Als vor zwei Jahren eine Frankfurter Familienrichterin die Schläge, die ein marokkanischer Ehemann seiner Frau verabreichte, nicht so schlimm fand, weil der Koran das Schlagen der Frau erlaube, schrieb Ghaemmaghami einen Offenen Brief. Das Wort im entsprechenden Koranvers dürfe nicht mit „schlagen“, sondern müsse mit „abwenden“ übersetzt werden. In seiner Stellungnahme verurteilt Ghaemmaghami eine „Kultur der Männer“, die dem islamischen Verständnis von außen aufgezwungen werde, und bezeichnet es als eine „Pflicht des Islam“, diese Kultur zu bekämpfen, die eine „Kultur der Torheit“ sei. […]
Die Attentate in London von 2005 kommentierte er als erster islamischer Geistlicher in Europa mit einem Rechtsgutachten (Fatwa), welches Terror im Namen des Islam ausdrücklich verurteilte. Dazu passt, dass er in Predigten, die im Internet zugänglich sind, den defensiven Charakter der koranischen so genannten Kriegsverse betont und auf das koranische Verbot verweist, in der Religion Zwang auszuüben.
Unter Ghaemmaghami ist das Islamische Zentrum Hamburg vorsichtig auf Abstand zu Teheran gegangen. Einige alte Zöpfe sind dabei auf der Strecke geblieben – so fungiert das Zentrum nicht mehr als Mitorganisator des Al-Quds-Tages, eines auf Khomeini zurückgehenden alljährlich stattfindenden Aktionstages zur Befreiung Palästinas. Die anlässlich dieses Tages in Berlin stattfindenden Demonstrationen wurden in der deutschen Öffentlichkeit kritisiert.
Auch innerhalb der Moschee zog mit Ghaemmaghami ein neuer Geist ein. So ließ er die Porträts von Khomeini und seinem Nachfolger Ali Khamenei entfernen. […] Auch ein Interview, das Ghaemmaghami der Zeitschrift Cicero gab, führte zu Irritationen. Darin sagte Ghaemmaghami, ein Muslim dürfe „nie einen Homosexuellen beleidigen oder ihm gegenüber respektlos sein“. […]