Daud
Ja, auf jeden Fall merkt man es, dass es Ahmadi-Muslime sind, weil sie die Lehre des Islams, den richtigen Islam, im wirklichen Leben praktizieren. Egal wo ich in der Gesellschaft bin, ob ich arbeiten gehe oder in der Schule bin, in der Universität. Man bemerkt es, weil wir die Lehre des Islams praktizieren. Die Lehre des Islams basiert bei den Ahmadi-Muslimen wie bei allen anderen Muslimen auch auf dem heiligen Koran, auf der Sunna, das ist die Praxis des heiligen Propheten, und auf den Hadithen, das sind die Überlieferungen vom heiligen Propheten. Das ist die Lehre des Islams. Wir betrachten den Koran als Wort Gottes, das den Menschen führt und leitet in jeder Hinsicht, egal in welchem Bereich man ist. Der Prophet Muhammad ist eine vollkommene Verkörperung der islamischen Lehre. Für uns ist es wichtig, dass man die islamische Lehre in seinem Leben praktiziert. Und so bemerken die Menschen natürlich auch, dass wir friedliebende Menschen sind.
Reinbold
Das würden viele Sunniten nach meiner Erfahrung wiederum genauso sagen. Hier im Saal ist ein Imam, wir können ihn nachher ja einmal fragen. Also: Ist das etwas Besonderes?
Daud
Ja, das ist schon etwas Besonderes, weil wir eine Reformgemeinde sind. Man merkt es auch daran, dass wir den Koran rational interpretieren. Rationale Interpretation, das bedeutet, dass die Interpretation des Korans mit der Vernunft übereinstimmt. Wir Ahmadi-Muslime sind fest davon überzeugt, dass es im Koran keinen einzigen Vers gibt, der mit der Vernunft nicht übereinstimmt.
Reinbold
… das steht auch auf der Homepage und in vielen Publikationen: Wissenschaft und Islam können sich nicht widersprechen?
Daud
Nein, auf keinen Fall, weil der Koran das Wort Gottes ist und die Wissenschaft ein Werk Gottes. Es gibt zahlreiche Offenbarungen im heiligen Koran, die man in heutiger Zeit so interpretiert. Zum Beispiel ist in Sure 81,8 davon die Rede, dass die Menschen einander nahe gebracht werden. Das wird dann heutzutage auf die Telekommunikation, das Internet, die Globalisierung bezogen, die Welt ist zu einem global village geworden. Damals, als der Koran offenbart worden ist, hat man das wahrscheinlich ganz anders interpretiert. Die Wissenschaft macht ja Entwicklungen, sie stellt immer wieder neue Thesen auf, neue Theorien, sie entwickelt sich immer weiter …
Reinbold
Heißt das, dass Ahmadis begeisterte Anhänger der Evolutionslehre sind oder dass sie nach dem Higgs-Bosom suchen und dem, was in der Physik gerade dran ist?
Majoka
Wir glauben, wie bereits erwähnt, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen dem Werk Gottes und dem Wort Gottes. Wenn es einen scheinbaren Widerspruch gibt, ist er entweder darauf zurückzuführen, dass das Wort Gottes nicht richtig verstanden worden ist oder dass die Wissenschaft noch nicht so weit ist. Es gibt ja einen Kern von Wissenschaften, der feststeht – die Naturgesetze und so weiter und so fort – und es gibt die Randbereiche, wo man immer wieder Neues entdeckt.
Reinbold
Ein Punkt, der für die deutsche Gesellschaft und die aktuelle Debatte um den Islam eine gewichtige Rolle spielt, ist die Frage: Wie halten Sie es denn mit den historischen Wissenschaften? Sind Sie offen für eine historische Interpretation des Korans. Er ist ja ein Buch, das seinen historischen Ort hat, im 7. Jahrhundert, in einem bestimmten kulturellen Kontext und so weiter. Sind Sie offen für eine historische Deutung des Korans?
Majoka
Das Wort Gottes hat zwei Aspekte. Nach unserem islamischen Verständnis ist der heilige Koran das endgültige Gesetzbuch, das bis zum jüngsten Tag seine Geltung hat. Insoweit ist es unveränderlich. Aber wenn man die Verse des Korans verstehen möchte, dann muss man auch den historischen Kontext betrachten. Das ist übrigens nichts Neues. Von Anfang der islamischen Geschichte an fragen die Korankommentare auch, warum ein bestimmter Vers erwähnt wird und in welchem Kontext er offenbart worden ist (asbab an-nuzul). Dieser historische Kontext muss bei der Auslegung immer mit betrachtet werden.
Das Wort Gottes muss also in seinem historischen Kontext verstanden werden, aber es hat seine Geltungsdauer bis zum Jüngsten Tag. Man kann nicht sagen: „Die Gesetze, die im Koran stehen, waren ausschließlich bestimmt für die Gesellschaft vor 1300 Jahren. Jetzt brauchen wir neue Gesetze, oder wir verändern diese Gesetze.“ Das geht nicht, sondern wir gehen davon aus, dass Gott allwissend ist, dass er auch das Zukünftige weiß, dass er es in seinem Buch so offenbart und niedergelegt hat, dass er alle Begebenheiten bis zum Jüngsten Tag berücksichtigt hat. Das heißt: Es gibt durchaus die Möglichkeit, dass man bestimmte Gesetze in bestimmten Situationen anders interpretiert. Die Gesetze an sich aber sind unveränderlich.
Reinbold
Bevor wir auf diesen Punkt zurückkommen, will ich Sie, Herr Antes, erst noch einmal fragen: Wenn die Ahmadiyya in Deutschland eine Moschee bauen will – wir erleben es gerade wieder in Leipzig, wo man blutige Schweineköpfe auf dem Moscheebauplatz auf Hölzer gespießt hat –, dann gibt es große Widerstände und oft auch antiislamische Ausfälle. Man sorgt sich vor einer fundamentalistischen Gruppe, die aggressiv missioniert, die die Verfassung abschaffen will, die letztlich einen islamischen Staat will. Ist da aus Ihrer Sicht etwas dran?
Antes
Wenn ich richtig sehe, ist da nichts dran. Man muss unterscheiden zwischen den üblichen Protesten, die grundsätzlich bei Moscheebauten auftreten. Sie sind übrigens häufig gar nicht unmittelbar religiös begründet, sondern da gibt es Leute, die Angst haben, dass ihre Grundstücke weniger wert sind, wenn in ihrer Gegend eine Moschee gebaut wird und Ähnliches mehr. Das ist die eine Seite, eine deutsche Öffentlichkeit, die den Moscheebau generell nicht begrüßt, sondern Schwierigkeiten macht.
Auf der anderen Seite gibt es innerislamische Auseinandersetzungen gegen die Ahmadiyya, die von anderer Ordnung sind. Vieles von dem, was eben gesagt wurde, findet man auch unter den normalen Interpretationen in bestimmten Schulen des „offiziellen“ Islams. Das, was eben etwa gesagt wurde zur Auslegung des Korans und zur Modernisierung, erinnert mich in vielen Punkten an Beiträge, die in dem von mir mit herausgegebenen „Lexikon des Dialogs“ stehen. Diese Beiträge sind verfasst worden von Vertretern der islamisch-theologischen Fakultät in Ankara und ihren Kollegen in der Türkei. Das ist also nicht der entscheidende, trennende Punkt.
Wenn man fragt. „Was stört eigentlich die Muslime an der Ahmadiyya?“, dann würde ich sagen, dass zum einen politische Gründe eine Rolle spielen, die vor allen Dingen mit Pakistan und Saudi-Arabien zu tun haben. Zum anderen ist die Behauptung der Ahmadiyya, Ghulam Ahmad sei der Mahdi, für normale Muslime ein Stein des Anstoßes. Es gab zwar in der islamischen Geschichte, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, immer wieder einmal die Vorstellung, dass der Mahdi gekommen sei. Es gab Ende des 19. Jahrhunderts einen Mahdi-Aufstand im Sudan. Es gab Leute im Iran, die geglaubt haben, Khomeini sei der Mahdi. Das ist für Muslime keine prinzipiell fremde Vorstellung. Die dezidierte Behauptung allerdings, dieser Mann da sei der Mahdi gewesen, ist für viele ein Stein des Anstoßes. Sie allein hätte aber, so scheint mir, wohl nicht ausgereicht, um in Pakistan eine solche Welle gegen die Ahmadiyya auszulösen. Politische Gründe kamen hinzu, und diese Kombination führte dann in den 50er Jahren dazu, dass man die Ahmadiyya-Bewegung bekämpfte und sie aus dem Islam exkommunizierte, unterstützt von den Saudis, die in ähnlicher Weise gegen die Muslimliga vorgingen.
Majoka
Pakistan ist im Jahr 1947 gegründet worden, davor war es Britisch-Indien. In Britisch-Indien hatten die Mullahs bzw. die Fundamentalisten einfach keine Möglichkeit, gegen die Ahmadis per Gesetz vorzugehen. Es gab Fatwas, also Rechtsgutachten, religiöse Edikte, die die Ahmadis schon damals als Ungläubige bezeichnet haben. Nur schlug sich das nicht in der Gesetzgebung nieder. Aber als 1947 Pakistan gegründet wurde, da haben diese Mullahs, Fundamentalisten, das wenige Jahre später per Gesetz durchgesetzt, im Jahr 1953 war es …
Antes
… das Gesetz kam erst 20 Jahre später …
Majoka
Im Jahr 1953 gab es einen Aufstand der Fundamentalisten gegen die Regierung, und es ging genau um diese Frage. 1974 haben sie es dann geschafft.
weiterlesen … (Teil 2)