Aus: Theo Sommer, Die ZEIT, 29.7.2014
Jeder Krieg macht unversöhnlich, brutalisiert und verroht. In dem Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis gilt dies für beide Seiten. Jawohl: auch für die Israelis.
Dies zu sagen, hat nicht das Geringste mit Antisemitismus zu tun. Nach Auschwitz und Theresienstadt und Bergen-Belsen muss der in Deutschland tabu sein und bleiben, und wir dürfen ihn uns auch nicht von muslimischen Einwanderern ins Land schleppen lassen. Aber das kann und darf uns nicht daran hindern, das Handeln des Staates Israel nach denselben Maßstäben des Völkerrechts, zumal des Kriegsrechts zu beurteilen und notfalls zu verurteilen, die wir allen anderen Staaten anlegen. Wer Putin anprangerte, weil er das tschetschenische Grosny in Schutt und Asche legen ließ, darf nicht schweigen, wenn Benjamin Netanyahu Gaza-Stadt in eine Trümmerwüste verwandelt.
Wir haben Mitleid mit allen Israelis, die der Raketen-Regen der Hamas seit Wochen immer wieder in die Schutzräume jagt. Diese Raketen haben mittlerweile eine ziemlich flächendeckende Reichweite, aber sind ein leichtes Opfer für die israelische Abwehr, die 90 Prozent von ihnen vom Himmel holt. […]
Ganz anders die Wirkung des israelischen Bombardements in Gaza. In dem kleinen Küstenstreifen starben seit dem Beginn des Konflikts über 1.060 Menschen, zwei Drittel davon Zivilisten, ein Viertel Kinder; dazu gab es 6.000 Verletzte. Und Gaza-Stadt sieht weithin so trostlos aus wie das tschetschenische Grosny, als die russische Armee damit fertig war.
Selbstverständlich hat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung. Doch immer bei der Anwendung militärischer Gewalt ist das oberste Gebot, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. Gegen dieses Gebot hat Israel sträflich verstoßen. Es ist zynisch, die Leute zum Verlassen ihrer Wohnung aufzufordern, sie dann aber nicht nur in Schulen und Krankenhäusern, sondern auch in UN-Schutzstätten zu bombardieren, wo sie Zuflucht gefunden haben.
Wir dürfen Mitleid mit ihnen haben. Mitleid ist kein Antisemitismus. Und die Netanyahu-Versteher im Lande sollten aufhören, uns einzureden, dass der Ausdruck solchen Mitleids gleichsam der braune Bodensatz nazistischer Judenfeindschaft ist, der bis heute die deutschen Seelen trübt. […]