Zum Gespräch: Neue Heimat Deutschland. Was tun die Religionen für die „Integration“?
von Eren Güvercin (dradio.de)
Muslimen in Deutschland fehlt ein Diskursraum, eine Plattform, auf der sie ihre Grundsatzdebatten führen können. Stattdessen agiert der Staat – er baut mit öffentlicher Hilfe eine Infrastruktur für theologische Bildung auf. Das ist gut gemeint, hilft den Muslimen aber kaum.
Der Islam mag mittlerweile zu Deutschland gehören. Dennoch ist er den meisten Deutschen immer noch fremd. Auch die deutschen Muslime fremdeln, denn sie sind weit davon entfernt, ihre Religion so selbstverständlich zu leben wie ihre christlichen Nachbarn. Genau genommen sind sie über die Jahre vom Regen in die Traufe geraten.
Früher wurden sie ignoriert, heute werden sie kritisch beobachtet oder fürsorglich tolerant behandelt. Nur wirklich selbstbestimmt, auch in aller Vielfalt selbstorganisiert sind sie nicht. Evangelische Christen entscheiden demokratisch in Synoden, wie die Katholiken treffen sie sich regelmäßig auf Kirchentagen als Foren des Dialogs mit der Gesellschaft. Muslimen fehlt dieser Diskursraum.
Natürlich haben sie das ganze Land mit Vereinen überzogen. In Ladengeschäften oder Hinterhöfen entstanden Gebetsräume und Kulturzentren aller Glaubensrichtungen. Doch als sie anerkannt werden wollten, begehrten, Religionsunterricht in den Schulen anzubieten und Moscheen mitten ins Stadtbild zu bauen, verlangten die staatlichen Stellen repräsentative Ansprechpartner, ja Institutionen, wie es Kirchen sind.
Es fanden sich große Dachverbände der Moscheevereine, doch ihren Funktionären ging es nicht selten um Macht und Einfluss, und ob sie den Muslimen eine Stimme geben oder in ihrem Interesse handeln, ist mehr als fraglich. Der sogenannte organisierte Islam mit seinen fast ausschließlich ethnisch abgegrenzten Verbänden operiert abgehoben von der Basis. Ein wirklicher innermuslimischer Dialog findet nicht statt.
Stattdessen agiert der Staat. Kultusministerien führen islamischen Religionsunterricht ein, nachdem sie Lehrpläne erstellt haben. Universitäten eröffnen theologische Lehrstühle, um Religionslehrer und Imame auszubilden. Der Bundesinnenminister lädt zur Deutschen Islam-Konferenz – und gesellschaftliche Stiftungen zur „Jungen Islam-Konferenz“ oder zu allerlei anderen Gesprächsforen.
Wer einlädt, bestimmt die Tagesordnung, beeinflusst die Debatte und wählt vor allem die Teilnehmer aus. Nicht jeder Verbandsvertreter passt den ministerialen Gastgebern. Und darüber und über vieles mehr wird heftig gestritten. Dieses Verfahren muss man dem Prinzip nach nicht kritisieren.
Denn der Mangel liegt woanders. Dies alles sind keine Konferenzen und Beiräte, die Muslime in eigener Regie vorbereiten und betreiben. Hier handelt ausschließlich der Staat. Natürlich ist es nur zu fair, dass der Islam in Deutschland eine seriöse Chance erhält, indem mit öffentlicher Hilfe eine Infrastruktur für die theologische Bildung aufgebaut wird.
Aber darüber hinaus bleibt es Sache der Muslime, ihr religiöses Leben und ihre Foren des Dialogs selbst zu organisieren. Sie müssen es nur tun und das Feld nicht den bisherigen politischen Akteuren überlassen.
Das öffentliche Bild prägt der politische Islam. Von ihm ist täglich und überall zu hören. Was die Muslime, die frommen und weniger frommen, beschäftigt, geht im allgemeinen Raunen unter. Eine eigene Agenda bestimmen sie nicht. Sie selbst – und nicht nur wenige Experten – müssten sich dafür interessieren, nach welchen Lehrplänen ihre Kinder unterrichtet werden. Sie selbst sollten fragen, was die neuen theologischen Lehrstühle der Erwachsenenbildung zu bieten haben.
Dazu ist es notwendig, eine Plattform zu bilden, die sich allen Muslimen anbietet, ob sie nun zum organisierten oder nicht organisierten Islam zählen. Dort könnten sie endlich miteinander jene Grundsatzdebatten führen, die sie bitter nötig haben.
Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), der sich vor einigen Jahren mit viel Tamtam gegründet hatte, hat es nicht geschafft, diese Aufgabe zu schultern. Überhaupt stellt sich die Frage, ob es diesen Koordinationsrat noch gibt, jenseits symbolischer Aktionen wie dem „Tag der offenen Moschee“?