Zum Gespräch: Ehre ist das wichtigste. Einwandererkinder zwischen Familie, Schule und Religion
(Aus: D. Baier u.a., Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt)
Eine bedeutsame Ursache für die bei Migrantenjugendlichen stärker verbreitete Gewalttätigkeit liegt in den […] Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen. […]
Insbesondere bei der innerfamiliären Sozialisation von Jungen wird dort vielfach darauf geachtet, dass sie auf den Erhalt ihrer Ehre bedacht sind und diese ohne Zögern (auch unter Anwendung von Gewalt) verteidigen. Diese Normen werden […] über die Anwendung von Gewalt in der Erziehung vermittelt, so dass in Familien mit starken Männlichkeitsnormen tendenziell auch ein hohes Gewaltausmaß herrscht […].
Bereits in vorangegangenen Schülerbefragungen konnte gezeigt werden, dass insbesondere bei türkischen Jugendlichen, aber auch bei Migrantenjugendlichen anderer Herkunftsländer die Zustimmung zu Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen höher ausfällt als bei deutschen Jugendlichen […]. Insbesondere Jugendliche aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien sowie dem arabischen und nordafrikanischen Raum weisen eine erhöhte Zustimmung zu Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen auf.
Die Anteile der Zustimmenden sind erwartungsgemäß und über alle Migrantengruppen hinweg bei den männlichen Befragten höher als bei den weiblichen. Allerdings zeichnet sich bei beiden Geschlechtern letztlich derselbe Zusammenhang zwischen Herkunft und Männlichkeitsnormen ab [...]. Eine Ausnahme bilden die afrikanischen Jugendlichen, bei denen die Zustimmungsraten von Mädchen und Jungen nahezu identisch sind. Der Anteil der afrikanischen Jungen, die Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen zustimmen (5,6 %), liegt unter der Zustimmungsrate aller männlichen Befragten (7,6 %), während der Anteil der zustimmenden afrikanischen Mädchen (4,9 %) im Vergleich zur Zustimmungsrate aller weiblichen Befragten (1,0 %) sehr hoch ausfällt.
Konsistent zu bisherigen Befragungen ergibt sich ein starker Zusammenhang zwischen der Befürwortung Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen und der eigenen Gewalttäterschaft […]. Deutlich wird, dass mit wachsender Zustimmung der Anteil der Gewalttäter über alle Delikte hinweg erheblich steigt: Während von allen Befragten, die Männlichkeitsnormen ablehnen, nur 7,5 % mindestens ein Gewaltdelikt in den letzten zwölf Monaten begangen hat, sind es bei den Befragten, die den Normen zustimmen, 44,7 %.
(Dirk Baier, Christian Pfeiffer, Julia Simonson, Susann Rabold, Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN [Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen], Hannover 2009, 71–72) (hier).