"Du bist Christ. Du bist manipuliert"

Zum Gespräch: Salafisten. Wie gefährlich sind sie?


Eine Begegnung mit einem Salafisten
(Von Thorsten Fuchs, Hannoversche Allgemeine Zeitung)

Erst mal die Antwort, bitte. Die Antwort auf die entscheidende Frage. Von ihr hängt es ab, ob Murat sich auf ein Gespräch mit mir einlässt oder nicht. Er hat wenig Zeit, er will einen Freund besuchen und sitzt schon auf dem Rad. Also stellt er erst mal seine Frage: „Bist du Muslim oder Christ?“

Christ. Nun überlegt Murat. Einerseits ist es die falsche Antwort, denn er weiß nun, dass er jemanden vor sich hat, den, wie er später sagen wird, die Hölle erwartet. Andererseits ist vielleicht noch etwas zu retten. Murats Rad hat einen niedrigen Rahmen, so kommt er mit seinem langen schwarzen Gewand besser vom Sattel. Murat stellt sein Rad ab. „Gehen wir hinein“, sagt er und zeigt auf das zweistöckige, gelb geklinkerte Gebäude in der hannoverschen Nordstadt.

Von außen ist nicht zu erkennen, dass es sich um eine Moschee handelt. Die Aufschrift neben der Tür, „Deutschsprachiger Islamkreis“, das ist der einzige Hinweis. Bei Verfassungsschützern ist dieser Bau dennoch wohlbekannt. Das Haus in der Kornstraße, gelegen zwischen Handwerksbetrieben und Bestattungsunternehmen, gilt als das Zentrum der Salafisten in Hannover, als wichtigster Treffpunkt der radikalen Islamisten in Niedersachsen neben dem Zentrum in Braunschweig. Unter anderem ist Pierre Vogel hier aufgetreten, der wegen seiner extremen Ansichten als „Hassprediger“ bezeichnete Konvertit. […]

Von dem Ärger um die Verteilung der Korane in deutschen Fußgängerzonen hat Murat nichts mitbekommen. Den Koran verteilen, davon weiß er, aber Ärger? Murat liest keine deutschen Zeitungen, und falls doch mal, vertraut er ihnen nicht. Mit seinem knöchellangen schwarzen Kittel, dem Vollbart und dem um den Kopf gebundenen schwarz-weißen Tuch wirkt der Mittdreißiger wie übrig geblieben aus einer anderen Zeit. Sein einziges Zugeständnis an die Moderne ist eine gefütterte schwarze Plastikjacke gegen den Regen. „Die Sache mit den beiden Türmen in Amerika, das waren nicht die Muslime“, wird er später im Gespräch über die Anschläge vom 11. September 2001 sagen. Sondern? „Das waren die Amerikaner selbst.“ Murat pflegt seine eigene Wahrheit, da würden Zeitungen nur schaden.

Die Begegnung mit ihm ist ein Zufallstreffen. Murat ist kein offizieller Repräsentant des „Deutschsprachigen Islamkreises“. Er ist nur der Einzige, der sich an diesem Nachmittag in den schlichten Räumen in der Kornstraße 25 aufhält. „Ich bin einfach jemand, der sehr viel betet“, sagt er. Arbeiten müsse er derzeit nicht. Die Bandscheibe. Davon abgesehen wirkt er einfach wie ein sehr typischer Salafist, in jeder Hinsicht.

Da ist zunächst einmal die Frage nach der Gewalt. Die meisten Salafisten, da sind sich die Experten einig, pflegen einen konservativen bis archaischen Islam, lehnen offene Aggression jedoch ab. „Strafen ist allein eine Sache Gottes“, sagt Murat. „Ich könnte nicht mal einen Grashalm knicken.“ Wenn etwas irritiert, dann ist es diese maßlose Friedfertigkeit.

In einem anderen Punkt legt Murat dagegen rasch jede Zurückhaltung ab. Das Missionieren ist für Salafisten eine der wichtigsten Aufgaben, und da muss bei Murat dann eben auch der Besuch beim Freund zurückstehen. „Du bist Christ, du bist manipuliert“, erklärt er seinem Gegenüber. Aber zum Glück kenne er „den einzigen Weg, den richtigen Weg, den intelligenten Weg“. Und während er logisch zu erklären versucht, warum seine Art des Islams die einzige Lösung ist, fixiert er sein Gegenüber mit festem Blick, hebt den Zeigefinger, zeigt in Richtung seines Gesprächspartners, berührt ihn am Arm, am Oberkörper und rückt bis auf Griffweite heran. Murat lässt keinen Raum für andere Gedanken, für einen anderen Glauben.

Auf diese, ja: bedrängende Art verbreitet er ein Weltbild, in dem es stets eine klare Zweiteilung gibt: Gott und den Teufel, Himmel und Hölle, wir und die anderen. Frauen sind im Zweifel stets das Böse. Einer Frau die Hand schütteln? „Nein“, sagt Murat. „Das geht nicht.“ Einmal habe er das getan, obwohl er verheiratet war. „Danach habe ich eine Stunde Verwirrung gespürt. Erotische Verwirrung, verstehst du?“ Er wolle das, versichert er, nie wieder tun.

Man kann all das für sehr, sehr eigenartig halten. Aber offenbar hat es seinen Reiz. Nicht so sehr für andere Muslime und ihre Gemeinden, die mit den Salafisten überwiegend nichts zu tun haben wollen. Aber vor allem für Konvertiten, die hier einfache Lösungen für eine komplizierte Welt suchen. […]

Von Murat sind zwischen allem Missionarischen stets nur Bruchstücke an Persönlichem zu erfahren. Der Vater Türke, die Mutter Araberin. „Ich bin Araber.“ Früher spielten Alkohol, andere Drogen und Partys in seinem Leben die Hauptrolle. „Der Teufel hatte mich krank gemacht.“ Vor einem Jahr dann die Erleuchtung. Seiner Frau ist sein Fanatismus offenbar nicht geheuer. Mit ihr und dem Jugendamt streitet er um die Kinder. Deshalb erlaubt er auch kein Foto von sich. „Ich habe schon Krieg genug.“

Mehr sagt er darüber nicht. Aber er hat zum Abschied noch einen Rat. „Nimm den Islam“, sagt er. „Rette dich!“ Und dabei kommt er noch einmal ganz, ganz nah.

HAZ, 13. April 2012